Indianersachbücher für Kinder und die Arbeit mit Kindern
von Robert Stark
(veröffentlicht 2/2007)
Indianerbücher sind ein fester Bestandteil der Jugendliteratur. Daran hat sich seit dem späten 19. Jahrhundert wenig geändert. Geändert haben sich die Inhalte, oder besser gesagt, es sind neue Inhalte dazugekommen. Die früher dominierende Abenteuerliteratur – häufig auf schauderhaft trivialem Niveau – gibt es nach wie vor. Einige „Klassiker“ dieses Genres werden sogar nach wie vor in Neuauflagen verlegt. Natürlich Coopers „Lederstrumpf-Romane“, die bei aller Romantik als lesenswerte Urbilder der ganzen Gattung mit durchaus literarischen Qualitäten gelten dürfen. Immerhin vermitteln sie eine Vorstellung vom Indianerklische des 19. Jh. und verarbeiten ganz im Gegensatz zu den ebenso unverwüstlichen Phantasien der Karl-May-Romane historische Ereignisse auf eine Art und Weise, die bei aller literarischen Freiheit noch eine gewisse Anbindung an die Geschichte erkennen lassen.
Nicht völlig unbedenklich sind die aktuellen Neuauflagen der „Tecumseh-Bücher“ von Fritz Steuben (zuletzt beim Omnibus-Verlag), die latent faschistoide Inhalte verbreiten und heute meist in entschärfter Form unter das „Jungvolk“ gebracht werden. Bereits in den 30er Jahren des 20. Jh.waren sie ein erfolgreicher Verkaufsschlager. Diese zeitgenössischen Originalauflagen wurden in der Regel mit eingefügten „völkerkundlichen“ Bildteilen und knappen Erläuterungen hierzu angereichtert. Sie sollten wohl die Authentizität der Erzählungen suggerieren, hatten jedoch in den wenigsten Fällen etwas mit in den Romanen erwähnten Indianervölkern zu tun, ebensowenig wie die Handlung selbst.
Der Trend zur Sachinformation hat sich jedoch nach dem 2. Weltkrieg maßgeblich verstärkt und spätestens seit den 70er-Jahren gibt es eine Flut von Kinder- und Jugendsachbüchern zum Thema Indianer, seit den 80er Jahren auch verstärkt für die Arbeit mit Kindern zum Thema Indianer. Nicht alles, was diese Flut auf den Buchmarkt geschwemmt hat, verdient das Prädikat „besonders wertvoll“. Einige unserer Favoriten wollen wir jedoch vorstellen, um die Orientierung zu erleichtern.
Ein preisgekröntes Sachbuch für Kinder im Grundschulalter ist „Bisonjäger und Mäusefreunde“ von Karin von Welck. Das Buch entstand aus einer Initiative des Rautenstrauch-Joest-Museums in Köln (1982) und wurde 1985 vom Otto Maier Verlag Ravensburg erneut verlegt (Hardcover, 80 Seiten, zahlreiche farbige Illustrationen; vergriffen, aber antiquarisch im Internet leicht zu erhalten). Der Erzählton ist der Zielgruppe hervorragend angepasst. Die Entstehung des Werks in einem renommierten Völkerkundemuseum sorgte für eine ausgezeichnete und ausgewogene Sachdarstellung, die mit den üblichen Klischees aufräumt, ohne permanent den Zeigefinger zu erheben. Das Buch ist liebevoll mit präzisen und vor allem bis in das kleinste Detail korrekten Abbildungen illustriert, die zugleich einen warmen Charme ausstrahlen, der Kinder der angesprochenen Altersgruppe und auch darüber hinaus anspricht. Vorbildlich ist die Auseinandersetzung mit der Geschichte der Kolonialisierung und der aktuellen Situation nordamerikanischer Indianer, die gleichwertig mit anderen Kapiteln und nicht nur als lapidare Randnotiz abgehandelt wird.
Für den spielerischen Wissenserwerb der gleichen Zielgruppe ist ein „Quiz-Block“ aus dem Tessloff-Verlag zu gebrauchen: „Was ist was. Quiz. 180 Fragen & Antworten. Indianer“. Der Tessloff-Verlag hat viele Verdienste, vor allem durch die Veröffentlichung pädagogisch hervorragend aufgeschlüsselter Sachbücher der englischen Jugendsachliteratur in deutscher Sprache. Leider ist er bei seinen Projekten nicht immer sehr wählerisch und gibt auch weniger ansprechende Werke heraus. Auch dieses Quiz hat einige Schwächen.
Manche Fragen und die dazugehörigen Antworten sind ein wenig oberflächlich und wenig differenziert, geradezu geeignet um die kulturellen Unterschiede der vielen indianischen Völker in einem Einheitsbrei untergehen zu lassen. Zu oft ist von „Indianern“ die Rede wo es eindeutig um regional sehr begrenzte Phänomene geht, zum Glück nicht immer. Dennoch befindet sich so manches verblüffende Frage- und Antwortpaar, das Kindern sicherlich viele Aha-Erlebnisse bescheren kann. Ein gut vorbereiteter Pädagoge könnte die unglücklicheren Formulierungen korrigieren oder mit etwas Geschick spannende Zusatzerläuterungen geben, die auch Kinder verstehen. Vielleicht begreifen diese gerade dann, dass man zwischen verschiedenen indianischen Kulturen unterscheiden kann.
Intensivere Projekte zu Indianern für Kinder im Grundschulalter können sehr gut mit Hilfe zweier Bücher aus dem Verlag an der Ruhr gestaltet werden. Ruben Philipp Wickenhäuser hat hierzu zwei nützliche Publikationen verfasst. „Indianerleben. Eine Werkstatt“ ist der Titel einer Arbeitsmappe, die rund 65 vorgefertigte Arbeitsblätter zu den verschiedensten Themenkreisen vereinigt, dazu einige Seiten mit einführenden Bemerkungen und Anregungen, bzw. Anleitungen zu unterschiedlich anspruchsvollen Bastelarbeiten. Der Autor hat dem Käufer die Arbeit leicht gemacht. Im Grunde muss er nur noch eine Auswahl aus den Arbeitsblättern treffen und ein paar Hintergrundinformationen lesen. Dem Erstbesitzer ist es erlaubt, für den Unterricht Kopien der Arbeitsblätter anzufertigen. Hervorzuheben ist die ausgewogene Darstellung, die an bestimmten Stellen gezielt mit Klischees aufräumt und die aktuellen Probleme moderner Indianer behandelt. Ein eigenes Arbeitsblatt beschäftigt sich sogar mit dem Thema Indianer im Internet und gibt den Kindern eine Anleitung zur Bewertung, ob eine Hompage über Indianer wirklich nützliche Informationen enthält. Dabei werden die bisher erarbeiteten Inhalte gezielt eingesetzt. Für diese Aufgabe sollten die Kinder vielleicht aber schon die 4. Klasse besuchen. Sicherlich lässt sich das eine oder andere Arbeitsblatt auch noch gut für Schüler der 5. Klasse verwenden.
Eine vortreffliche Ergänzung zu den Arbeitsblättern bildet das Buch „Indianer-Spiele. Spiele der Ureinwohner Amerikas für die Kids von heute“ (Paperback, 240 Seiten, zahlreiche SW-Abb). Ruben Wickenhäuser hat die ethnologische Fachliteratur fleißig nach geeigneten Spielen durchforstet und eine umfangreiche Sammlung ansprechender Spiele zusammengestellt. Das Inhaltsverzeichnis gliedert die Spiele nach bestimmten Arten (z.B. Jagd, Schleich – und Lauerspiele; Ballspiele; Laufspiele; Kräftemessen; Ratespiele …) Ein sehr übersichtlicher tabellarischer Anhang erleichtert die Auswahl für bestimmte Zwecke (Drinnen oder Draußen; Zeitbedarf; Herausforderung, z.B. einzeln, Mannschaft, Paare, alle gegen einen, 1 gegen 1 usw.; Spielcharakter, z.B. ruhig oder lebhaft; Anspruch, z.B. motorisch, sensorisch, mental). Eine Einleitung macht in groben Zügen mit dem historischen Hintergrund, in dem die Spiele entstanden sind, bekannt. In einem Anhang sind auch einige gefährliche Mutproben und brutale Spiele beschrieben, die einem romantischen Indianerbild vorbeugen sollen und natürlich keinesfalls zur Nachahmung bestimmt sind.
Erzählenden Charakter hat das Buch von Adolf & Okan Hungry Wolf: „Das Land in dem es immer Sommer ist” (Verlag Sauerländer 1984; Hardcover, 160 Seiten, zahlreiche SW-Abb.; vergriffen, aber antiquarisch im Internet leicht zu finden).“ Dieses Buch ist für Kinder, die dem Grundschulalter bereits entwachsen sind, eine lohnende Lektüre. Adolf Hungry Wolf ist 1944 in Süddeutschland geboren und wanderte als junger Mann nach Kanada aus. Dort begeisterte er sich für die Kultur der Schwarzfußindianer, heiratete eine Schwarzfußfrau und hatte mit ihr mehrere Kinder. Bei den Schwarzfußindianern leistete er vielfältige kulturelle Arbeit, die sich u.a. in zahlreichen Publikationen niederschlug und auch bei den Indianern große Anerkennung genießt. Sein Name rührt von dem unersättlichen Appetit, mit dem er die Erzählungen der Ältesten aufsog.
Seiner Herkunft blieb sich Adolf Hungry Wolf jedoch immer bewusst, ebenso seiner Stellung als „Zugereister“, auch wenn er sich weitestgehend in den Stamm der Blackfoot integriert hatte. Das hier erwähnte Buch handelt von einer Reise Adolfs und seines Sohnes Okan in den Südwesten der USA zu den Pueblo-Stämmen. Dort spürten beide Schwarzfußmythen nach, über das „Land, wo immer Sommer ist“ nach. Mutige Schwarzfußkrieger hatten sich einst bis in diese Regionen gewagt. Nun sammeln Vater und Sohn Hungry Wolf beide gleichermaßen Eindrücke über eine fremde Kultur. Vielleicht konnte der Sohn auch erahnen, was es für den Vater bedeutet haben muß, sich in einer völlig neuen Lebenswelt niederzulassen. Erfreulicherweise nehmen die Berichte vielfach Bezug auf die aktuelle Situation der Völker im Südwesten und welche Veränderungen in den letzten Jahrzehnten stattgefunden haben.
Da Adolf Hungry Wolf sowohl die europäische als auch die indianische Kultur der Blackfoot intim kennengelernt hat, ist er wie kaum ein anderer dazu berufen, etwas über die Begegnung mit fremden Völkern zu erzählen. Als Familienvater trifft er den richtigen Ton, und sein Sohn weiß am besten, welche Eindrücke Kinder dabei besonders faszinieren. Als literarische Entdeckungsreise ist dieses Buch wärmstens zu empfehlen.
Zwei echte Arbeitsbücher für Jugendliche haben Peter R. Gerber und G. Ammann mit „Nordwestküsten-Indianer“ und „Prärie- und Plains-Indianer“ vorgelegt (über den Coyote zu beziehen; Paperback, 144 S. und 148 S., zahlreiche SW-Abb.). Wieder war ein Völkerkundemuseum an der Konzeption (Zürich) beteiligt, für die schulpädagische Optimierung sorgte ein Mitarbeiter des Pestalozzianums Zürich. Zielgruppe sind vor allem Lehrer für Schüler ab der 7. Klasse. Die Bücher sind jedoch genauso gut für andere Workshops mit Jugendlichen zum Thema Indianer eine wahre Fundgrube. Beide Bücher sind im wesentlichen gleichartig aufgebaut. Einführende Kapitel weisen auf die Vielfalt indianischer Kulturen hin und korrigierten Klischees. Ferner werden Kultur, Geschichte und Gegenwart der besprochenen Kulturareale im Überblick dargestellt. Es folgen diverse Vorschläge für den Unterricht, Kapitel zu Schwerpunktthemen mit reichhaltigem Bildmaterial und vielfältigen Anregungen zur aktiven Verarbeitung der Informationen durch Jugendliche.
Viele Abbildungen sind eigens angefertigte, qualitativ hochwertige und sehr genaue SW-Zeichnungen, die sich hervorragend zur Vervielfältigung auf Arbeitsblättern im Rahmen eines Projekts eignen. Dass es sich um mit größter Sorgfalt recherchierte Materialien handelt, versteht sich bei den Autoren von selbst. Ein Anhang bietet ein kommentiertes Literaturverzeichnis sowie Kommentare zu einer ausleihbaren Diaserie. Das Thema „Präirie- und Plains-Indianer mag den Erwartungen vieler Kinder entgegenkommen. Vielleicht sollte gerade aus diesem Grund vorzugsweise der Band „Nordwestküsten-Indianer“ zum Einsatz kommen. Denn außer Totempfählen wird dort den wenigsten Jugendlichen das dargebotene Material bekannt sein. Die Bücher würden sich an Schulen auch für ein fächerübergreifendes Projekt anbieten: Kapitel zu Bilderschrift, Kalender und Zeichensprache bieten sich für das Thema Kommunikation im Deutschunterricht an. Wirtschafts- und Wohnformen.
In ihrer durch die geographische Situtation bedingten Ausformung, sind für den Erdkundeunterricht geeignet, ebenso die Gegenwartssituation vieler Indianer als Angehörige von Völkern der „Vierten Welt“ mit charakteristischen Problemen durch die unbewältigten Folgen der Kolonialisierung. Das hier auch das Fach Geschichte greift, bedarf keiner Erklärung. Mythen und Visionen können im Religionsunterricht besprochen werden. Zahlreiche Materialien eignen sich zur kreativen Verarbeitung im Kunstunterricht Aber auch Interviews mit indianischen Künstlern der Gegenwart haben hier Platz. Selbst für den Musikunterricht ist mit den Texten zahlreicher moderner Indianischer Liedermacher verschiedener Stilrichtungen Stoff geboten. Sollte das reichhaltige Angebot ambitionierten Pädagogen nicht ausreichen, werden sie im kommentierten Literaturverzeichnis sachkundig auf weitere, empfehlenswerte Werke verwiesen.