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Museum Fünf Kontinente: From Samoa With Love?

Ausstellung im Völkerkundemuseum Münchenlink

Völkerschau: Doch keine Liebesgrüße aus Samoalink

von Dionys Zink

Völkerkundemuseen sind merkwürdige Einrichtungen. Sie horten Artefakte, also Beispiele der materiellen Kultur außereuropäischer Völker, darunter gelegentlich auch Zeremonialgegestände oder auch manchmal noch die Gebeine von Ureinwohnern, wenn diese aufgrund der merkwürdigen Ausrichtung der physischen Anthropologie des Kolonialzeitalters in ihren Besitz gelangt sind. Andererseits wollen sie als seriöse und moderne Forschungseinrichtungen gelten, die jeder Form von Rassismus und Kolinialismus abgeschworen haben. Zur Vergangenheitsbewältigung gehört daher selbstverständlich auch die Provenienzforschung hinsichtlich der Sammlungen. Die Anfänge des Münchner Völkerkundemuseums und seiner Sammlungen vermitteln da ein vergleichsweise freundlicheres Bild, als so manche andere berühmte Sammlung. Nicht wenige Gegenstände stammen aus dem Besitz der Königsfamilie der Wittelsbacher, die mit Prinzessin Therese von Bayern über ein ausgesprochen ethnologisch interessiertes Mitglied einschloss.

Zur gleichen Zeit, in der die heutigen staatlichen, völkerkundlichen Sammlungen Europas und Nordamerikas entstanden sind, war auch die Hochphase der Völkerschauen, wie sie vor allem von Privatzoos und Zirkusunternehmen präsentiert wurden. Zu den erfolgreichsten Unternehmen dieses Typs zählten zum Beispiel die Wildwest-Shows des Frederick Cody alias „Buffalo Bill“ oder die Völkerschauen des Hamburger Unternehmers Hagenbeck. Natürlich befriedigten diese Events das Bedürfnis nach Exotismen oder sogar die kruden erotischen Phantasien des wilhelminischen Zeitalters. Selbstverständlich ist auch in diesen Völkerschauen eine Wurzel der Selbstüberhebung und des Herrenmenschentums zu sehen, das sich die „Primitiven“ und „Wilden“ zur Unterhaltung im Zoo vorführen ließ, um dann schenkelklopfend darüber zu schwadonieren, wie herrlich weit man es doch als Europäer, zumal als Deutscher, gebracht habe.

Eine kleine Ausstellung unter dem Titel „From Samoa with Love?“ im Münchnener Völkerkunde geht auf den Spuren des eigenen Hauses zurück und zeigt am Beispiel der drei Tourneen samoanischer Ureinwohner durch Deutschland um die Jahrhundertwende, dass ein differenzierterer Blick auf dieses Phänomen des ausgehenden Kolonialzeitalters lohnt.

Die Schlüsselfiguren jener Unternehmungen waren zu Kaisers Zeiten zwei Brüder mit Namen Fritz und X Marquardt, die prominente samoanische Häuptlinge bzw. Adlige dazu überreden konnten, sich auf mehrmonatige Reisen nach Europa einzulassen. Nach Vorstellung der Ausstellungskuratoren waren die Samoaner jedoch nicht einfach die naiven Wilden, die sich von skrupellosen, weißen Zirkusdirektoren als Abnormitäten vermarkten ließen. Neben der verhältnismäßig guten Bezahlung und der Neugier auf die Welt der Europäer, waren es nicht zuletzt auch innenpolitische Gründe, welche die politische Führungsschicht der Samoaner veranlasste, sich auf die Reise an das andere Ende der Welt zu begeben. In Samoa konkurrierten mehrere Häuptlings- oder Adelsfamilien um Macht und Einfluss auch unter der Kolonialherrschaft von Amerikanern, Briten und Deutschen. da nimmt es nicht Wunder, dass sich einige einflussreiche Familien zumindest zeitweise auf die Seite der Deutschen schlugen, wenn es die innenpolitischen Gegner mit den Angelsachsen hielten.

Und keineswegs war es so, dass sich die Mitglieder einer solchen Delegation einmal in Deutschland angekommen nach Strich und Faden manipulieren ließen. Beispielsweise reisten die Chefs der Samoaner immer selbst mit, traten jedoch häufig nicht in den eigens angefertigten Kostümen, sondern in zeitgenössischer europäischer Kleidung auf. Sie bestanden darauf, den bayerischen Prinzregenten und den deutschen Kaiser zu treffen und tauschten mit den Herrscherfamilien Geschenke aus. Während die Gebrüder Marquardt mit ethnologischen Gegenständen ihr Nebengeschäft machten, verkauften die Samoaner Postkarten mit idyllischen Südseeszenen und behielten die Einnahmen für sich. Bei offiziellen Anlässen achteten die Samoaner genau auf das bei ihnen übliche Protokoll. Eine Kawa-Zeremonie durfte beispielsweise nur von tatsächlich dazu befugten unverheirateten Frauen der Adelsschicht geleitet werden. Versuche der deutschen Impresarios rangniedere Frauen, die dem europäischen Schönheitsideal eher entsprachen, in den Vordergrund zu rücken, wurden von den samoanischen Delegationschefs unterbunden oder korrigiert.

Trotz dieses interessanten Perspektivenwechsels, Völkerschauen nicht nur als Ausdruck eines kolonialzeitlichen Voyeurismus zu betrachten, setzt sich die Ausstellung auch mit diesem unvermeidlichen Aspekt auseinander. Am Beispiel der Nuxalk (frühere Bezeichnung: Bella Coola Indianer, British Columbia) wird gezeigt, dass man den Stereotypen der breiten Masse kaum entkommen konnte. Die Deutschen wollten Indianer sehen, wie sie Karl May, James Fenimore Cooper und Buffalo Bill präsentiert hatten. Mit der Kultur der lachfischenden Nuxalk, ihrem reichen, darstellenden Zeremonialsystem oder ihrer Holzbildhauerei und Schnitzkunst konnte man wenig anfangen, allzu sehr war man schon damals auf Federhauben und Tomahawks fixiert. Dies ist leider auch eine Erfahrung in der aktuellen Unterstützungsarbeit für Ureinwohner-Nationen: verweigern sich Indianer anderer Kulturen, den „Wahrzeichen“ der Plainsindianer, ist es erheblich schwieriger Publikum anzusprechen und Unterstützer zu gewinnen.

Samoa eignete sich aus mehreren anderen Gründen schon eher als Projektionsfläche. Zum einen gehörte ein Teil der Inselgruppe im südlichen Pazifik offiziell seit 1900 und bis zur Besetzung durch neuseeländische Truppen zu Beginn des Ersten Weltkriegs (1914) zum deutschen Kaiserreich.

Nicht zuletzt deshalb liefen die späteren Samoa-Völkerschauen auch unter dem vieldeutigen Motto „Unsere neuen Landsleute“, ein Slogan, der aus heutiger Sicht zugleich die deutsche Großmannsucht aber auch die hoffnungslose Naivität der Deutschen in Bezug auf fremde Welten widerspiegelt. Zum anderen verbanden nicht nur die Deutschen mit der Südsee die Vorstellung von einem Paradies im ewigen Sommer, wie es die Reiseberichte von Louis Antoine de Bougainville oder Georg Forster, letzterer im Gefolge James Cooks, schon im 18. Jahrhundert vermittelt hatten. Nicht zuletzt verfielen Künstler wie Paul Gauguin oder die Expressionisten der Künstlervereinigung „Die Brücke“ diesem Mythos vom Südseeparadies.

Einen bedeutenden Einfluss hatte zudem auch die massenhafte Verbreitung von Photographien zur vorletzten Jahrhundertwende, auch in Stereoaufnahmen, welche europäischen Betrachtern die aufgenommenen Szenerien im Vergleich zu den Stichen und Lithographien früherer Jahrzehnte geradezu hyperreal erscheinen lassen mussten.

Zumindest ein prominenter Nicht-Deutscher taucht zwischen den Ausstellungswänden auf: Robert Louis Stevenson, der Verfasser der Schatzinsel und der berühmten Geschichte von Dr. Jekyll und Mr. Hyde hatte sich aus gesundheitlichen Gründen zur Auswanderung nach Samoa durchgerungen und verlebte seine letzten Jahre dort. Samoa als Stoff erreichte in der Literatur dennoch kaum die Popularität von Wildwest-Erzählungen. Es reicht aber immerhin für ein paar Fußnoten. Karl May ließ sich mit einem samoanischen Rindendecke photographieren, den er Besuchern gegenüber als „Nscho-Tschis Decke“ bezeichnete. In seinem Bemühen, die Authentizität seiner „Reiseerzählungen“ im Wilden Westen mit handfesten Beweisen zu untermauern, war sich May offenbar nicht zu schade, praktisch jeden ethnographischen Gegenstand nach seinen Vorstellungen umzudeuten. Zur Samoa-Rezeption in Deutschland gehört noch eine weitere ethnologische Fälschung (und zudem teilweise ein Plagiat), die zwar bereits 1920 erschien, aber vor allem in der Gegenkultur der 60er und 70er Jahre Furore sorgte. „Der Papalagi“ ist eine Sammlung von Texten betitelt, die angeblich auf die Reden eines samoanischen Häuptling namens „Tuiavii aus Tiavea“ zurückgehen sollten, in Wirklichkeit aber von dem Deutschen Erich Scheurmann verfasst wurde. In der Tradition des guten alten Tacitus und anderer Sympathisanten des Edlen Wilden, wird in diesen Texten der entfremdeten europäischen Lebensweise des 20. Jahrhunderts der Spiegel vorgehalten.

Die gegenwärtige Ausstellung entstand in enger Zusammenarbeit mit den heutigen Nachfahren der einstmals an den Völkerschauen beteiligten Samoaner. So konnte es beispielsweise gelingen, nahezu alle auf historischen Photos abgebildeten Samoaner zu identifizieren. Während dieser Arbeit zur Ausstellung zeigte sich auch, dass die samoanische Überlieferung zu diesen Deutschland-Tourneen die These stützt, dass sich die seinerzeit Beteiligten viel eher als kulturelle Botschafter denn als exotische Ausstellungsobjekte begriffen. Die Botschaft aus dem Samoa der Vergangenheit und der Gegenwart ist mehr wert als nostalgische Liebesgrüße aus der Kolonialzeit. Sie besagt, dass die Samoaner heute wie damals auf der ihnen eigenen Würde bestehen, wenn sie sich den Stereotypen der einstigen und heutigen Kolonialherren verweigern.

Die Ausstellung im Münchener Völkerkundemuseum ist noch bis zum 5. Oktober 2014 zu sehen. In Verbindung mit einem Besuch der Ozeanien-Abteilung des Museums sollte man etwas mehr als zwei Stunden einplanen.

Erstellt von dionys. Letzte Änderung: Mittwoch, 13. Mai 2020 11:41:55 CEST von oliver. (Version 4)