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Kanadische Demokratur: Rumpeln hinter der Bergkulisse

Kananaskis von Dionys Zink
((veröffentlicht 2/2002)

Jede Politik ist Lokalpolitik, unter dieser Prämisse muss man in Abwandlung einer amerikanischen Journalistenweisheit das Geschehen um den G8-Gipfel im kanadischen Kananaskis Village in den Rocky Mountains und zeitgleich in Ottawa wohl auch betrachten. Während die Regierung Chretiens mit einem beispiellosen Sicherheitsaufgebot, einschließlich der vorübergehenden Verhaftung der einheimischen Grizzlybären, der Welt wieder einmal das sattsam bekannte Schmierenstück „ Die größte Demokratie der Welt“ aufführt, ist vernehmliches Rumpeln hinter der Bergkulisse zu registrieren.

Seit Wochen schwelt bei den regierenden Liberalen eine Führungskrise. Fast hat es den Anschein, als ob der extern völlig unangefochtenen liberalen Partei Chretiens Flügelkämpfe bevorstehen, die einen Wechsel auch im Amt des Ministerpräsidenten bewirken könnten.

Darauf deutet die Entlassung des populären Finanzministers Paul Martin hin, der demnächst als parteiinterner Herausforderer Chretien das Leben schwer machen könnte. Anfang kommenden Jahres steht dem Amtsinhaber eine Parteiversammlung bevor, in der die bisherige Regierungspolitik auf den Prüfstand soll. Der gegenwärtige Wirtschaftsaufschwung in Kanada gilt als Erfolg Martins, nicht als Leistung Chretiens.

Derzeit ist keine andere kanadische politische Partei in der Lage die liberale Regierung ernsthaft in Bedrängnis zu bringen. Die zwei Hauptgründe dürften in zwei Besonderheiten des nordamerikanischen Landes liegen: Die regionalen Differenzen (etwa zwischen Ost und West oder zwischen Franko- und Anglokanadiern) sind gewichtiger als die Unterschiede zwischen den politischen Parteien. Und die kanadische Verfassung sieht keinerlei strukturelle Möglichkeit zum geordneten Wechsel einer Regierung während einer laufenden Legislaturperiode vor. Einzig ein Aufstand der Hinterbänkler der Parlamentsmehrheit könnte einen Regierungschef wenn nicht ins Aus, so doch ins Abseits befördern. Tatsächlich stellt sich Chretien auf einen möglichen Rücktritt angesprochen dann auch auf den Standpunkt, er sei bei der letzten Wahl für fünf Jahre im Amt bestätigt worden, nicht lediglich für 18 Monate.

Für die Indianer Kanadas ergibt sich aus dem Streit der Liberalen ein gewisses Maß an zusätzlichem politischen Handlungsspielraum. Die Zusicherung fortgesetzter Loyalität gegenüber den bestehenden Machtinhabern dürfte die Liberalen um Chretien einiges an Zugeständnissen etwa bei Landrechtsverhandlungen kosten. Eine Unterstützung des eher als konservativ geltenden Paul Martin bietet neben den ebenfalls fälligen Zugeständnissen auch den Ausblick auf weitere wirtschaftliche Prosperität, in Kanada bislang die Voraussetzung für wirtschaftliche und soziale Entwicklungen auf dem Feld der Indianerpolitik, die über die Gewährung von Sozialhilfe hinausgehen. In den kommenden Monaten wird man also vorsichtiges Taktieren aller am politischen Alltagsgeschäft in Kanada Beteiligten erwarten dürfen, welches allein das Ziel verfolgt aus der Schwäche der Regierung Kapital zu schlagen.

Dass allzu großmächtig nach außen demonstrierte Stärke innenpolitisch auch eine Schwäche sein kann, zeigten die strikten Sicherheitsvorkehrungen des G-7 Gipfels. Die Medien waren am eigentlichen Konferenzort nicht zugelassen, so dass sich für mögliche Kritiker keine Bühne für ihren Protest ergeben konnte. Ein zwischenzeitliches Angebot einiger Chiefs der benachbarten Stoney-Indianer Globalisierungsgegnern eine Operationsbasis zu vermieten, wurde mit politisch und finanziell klebrigem Händedruck aus der Welt geschafft. Auch zur 70 Kilometer entfernten Medienzentrale war der Zugang für Kritiker scharf begrenzt. Nicht zugelassen wurden Personen mit Vorstrafenregister oder Geisteskrankheiten, aber auch Mitmenschen, denen „antisoziales Verhalten“ oder „gewalttätige“, „extremistische“ und „umstürzlerische politische Ideen“ nachgesagt werden. Pam Foster, die Mitbegründerin der Halifax Initiative, einer Organisation, welche 1995 nach dem G7-Gipfel in Halifax, Nova Scotia ins Leben gerufen wurde, durfte zum Beispiel nicht in Kanadas Bergwelt reisen.

Paul Martin nach seiner Meinung zu diesem rüden Umgang seiner früheren Regierung mit Globalisierungskritikern befragt, äußerte prompt sein Unverständnis.

Erst nachträglich wurde bekannt, dass sämtliche sicherheitsrelevanten Informationen zu Tagesablauf, Tagungsräumlichkeiten, Anfahrtswegen und Sicherheitsvorkehrungen seit geraumer Zeit an einer Autobahnraststätte im weitentfernten London für mutmaßliche Gegenaktionen bereitlagen. Das erinnert ein wenig an die Sicherheitsvorkehrungen in München anlässlich des Besuchs einer kanadischen Regierungsdelegation im Münchener Rathaus zu Jahresbeginn. Der Infostand der AGIM auf dem Marienplatz war praktisch von zugriffsbereiten Polizisten umstellt und trotzdem spazierte Jean Chretien auf Armeslänge an AGIM-Mitgliedern vorbei zu seinem Auto. Nur gut, dass AGIM es an Höflichkeit mit jedem Grizzly aufnehmen kann. Die waren auch nur so in der Gegend.

Erstellt von oliver. Letzte Änderung: Donnerstag, 30. Januar 2020 13:16:38 CET von oliver. (Version 3)