Jugendbuch über die erwachsene Sicht indianischer Wirklichkeit
von Dionys Zink
(veröffentlicht 1/2006)
Der Blick in die Jugendbuchabteilungen heutiger Buchmetzger lässt Indianerunterstützer und Lehrer gleichermaßen erschauern: Fantasy-Krampf von Tintenfunke, über Harald Töpfer oder Artemis Vogel so weit das Auge reicht, dazwischen einsam und versprengt ein paar als Roman getarnte „Ratgeber für die aktuellen Jungkonsumenten“, das war’s, was anscheinend aktuell in der Altersgruppe zwischen zwölf und sechzehn gelesen wird. Auch wenn einige Zeit massenweise Bücher zum Thema „Indianer“ erschienen sein mögen, viel ist davon nicht mehr übrig. Zu viele Jungen, die traditionelle Leserschaft für Indianerbücher, arbeiten mittlerweile von Medien, Teilen der Gesellschaft, manchen Eltern und ihrer Schule konsequent unterstützt auf ihre digitale Verblödung hin.
Jugendliteratur mit indianischen Themen hatte zumindest für Jungen immer auch schon emanzipatorischen Charakter. Schon Romane wie „Blauvogel – Wahlsohn der Irokesen“ (Anna Jürgen) oder das für kleine Jungen geschriebene „Fliegender Stern“ (Ursula Wölfel) handelten nicht nur von indianischen Wirklichkeiten in altersgemäßer Verarbeitung, sondern vor allem vom Heranwachsen oder vom Ausprobieren verschiedener Identitäten. (Was den Schluss nahelegt, dass bei manchem erwachsenen Hobbyisten, der Prozess noch nicht abgeschlossen ist).
Mit „Lakota Moon“ erscheint nach „Der Gesang der Orcas“ im Arena-Verlag der zweite Jugendroman von Antje Babendererde, der von und in indianischen Kulturen der Gegenwart handelt und zugleich auch eine Entwicklung reflektiert, die auch AGIM-Mitglieder und Coyote-Leser in den vergangenen zwei Jahrzehnten beobachten oder selbst erfahren konnten. Mit großem Interesse verfolgt daher der informierte Leser die Gratwanderung zwischen Fiktion und Wirklichkeit, auf die sich die Autorin eingelassen hat.
Ein Junge wird von seiner „indianisch angehauchten“ Mutter von Deutschland ins Pine Ridge-Reservat in South Dakota gebracht, weil diese sich in den Kopf gesetzt hat, einen Indianer zu heiraten und sein Leben im Reservat zu teilen. Aus der Sicht des Jungen werden die Zustände im Indianerland vermittelt, wie sie Mitteleuropäern vorkommen müssen, die mit wenigen Informationen, vielen Vorurteilen und nicht ganz freiwillig dort hingelangen.
Das ist der Schwachpunkt der Geschichte: Die Reflektionen des Jungen über seine eigenen Schwierigkeiten, sich an das Reservatsleben zu gewöhnen, wirken zu „erwachsen“, kompliziert und überlegt. Wobei man diese Kritik sich dann auch selbst gefallen lassen muss: Welcher jugendliche Leser denkt schon ausführlich über die Plausibilität einer Romanfigur nach, wenn er unterhalten werden und etwas über Indianer erfahren will?
Dieses letztere Versprechen löst die Autorin in mehreren panoramischen Bildern oder Szenen in hervorragender Weise ein. Ein indianisches Fest in einer Großfamilie wird geschildert, ein Pow-Wow, Umwelterfahrungen und auch die alltägliche Gewalt, der umgekehrte Rassismus, die soziale Not – all das sind Bilder, die der Wirklichkeit in Pine Ridge und anderen Reservaten entsprechen. Für Leser des Coyote wirkt vieles vertraut, weil einzelne Handlungselemente unmittelbar Ereignissen nachempfunden wurden, über die unsere Zeitschrift regelmäßig berichtet. Selbst bestimmte Figuren entsprechen in einigen Merkmalen Lakota-Indianern, die bereits bei AGIM zu Gast waren.
In der Jugendliteratur zum Thema Indianer der vergangenen Jahre ist nur wenig erschienen, was Coyote-Lesern wirklich empfehlenswert gewesen ist. Zumeist handelt es sich dabei um Übersetzungen amerikanischer und auch indianischer Autoren, also Texte, die naturgemäß mehr oder weniger gelungen eine fremde Perspektive auf einen weitgehend fremden Gegenstand einnehmen. Antje Babendererdes Roman „Lakota Moon“ vereint beides, authentische Wahrnehmung indianischer Wirklichkeit aus europäischer Sichtweise.
Dass „Lakota Moon“ empfehlenswert ist, fand im Übrigen auch die Volkacher Akademie für Kinder- und Jugendliteratur, die allmonatlich Neuerscheinungen als „Buch des Monats“ auszeichnet. Bleibt zu hoffen, dass das Buch viele Leser findet. Und vielleicht finden die Leser von heute später den Weg zu uns, denn das, was man in diesem Roman lesen kann, existiert wirklich.
Antje Babendererde: Lakota Moon, Würzburg 2005, 279 Seiten, Hardcover-Ausgabe im Arena-Verlag, 12,90 Euro, ISBN 3-401-05368-X
Ebenfalls neu, von der gleichen Autorin: Talitha Running Horse, Würzburg 2005, 303 Seiten, Hardcover-Ausgabe im Ensslin-Verlag, 12,95 Euro, ISBN 3-401-45218-0