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Anmerkungen zum Thema Asche auf dem Mond

von Robert Stark
(veröffentlicht 2/1998)

Am 11. Januar dieses Jahres startete die NASA eine Mondsonde, an der eine Urne mit der Asche des Wissenschaftlers Eugene Shoemaker befestigt war. In den 60er und frühen 70er Jahren war er für die geologische Ausbildung der Apollo-Astronauten verantwortlich. Schon immer hätte er sich danach gesehnt, zum Mond zu fliegen. Diesem Wunsch wollte die NASA ihrem ehemaligen Mitarbeiter nun wenigstens posthum erfüllen.

Von diesem Ereignis nahm man in Europa kaum Kenntnis. Erst als sich der Stammespräsident der Navajo, Albert Hale, über den Transport der Asche zum Mond empörte, war es manchen Tageszeitungen eine Kurzmeldung wert: Hale wies darauf hin, daß der Mond für viele indigene Völker Nordamerikas heilig und die Bestattung eines Menschen auf dem Erdtrabanten deshalb für Indianer ein ausgesprochener Frevel sei. Was für europäische Journalisten jedoch eher von peripherem Interesse war und - den weiteren Meldungen an dieser Stelle nach zu schließen - eher der Sparte Kuriosa zugerechnet wurde, lohnt im Rahmen unserer Zeitschrift durchaus eine ausführlichere Betrachtung.

Manchem mag der erste Teil der Geschichte rührselig erscheinen. Da wird einem hochverdientem Forscher, dessen Leben zu einem Großteil der Erforschung des Mondes gewidmet war, nur im Tode die Erfüllung seines sehnlichsten Wunsches zuteil. Carolyn Shoemaker, die Frau des Verstorbenen, berichtete sogar, daß die Gefühle ihres Mannes zu Erforschung des Weltraums, insbesondere die Reise zum Mond, geradezu von religiöser Natur gewesen seien. Aus diesem Grund wäre sie nie auf die Idee gekommen, daß irgendwer durch die Beisetzung der Asche ihres Ehemannes auf dem Mond verletzt werden könne. Vor dem Hintergrund bereits erfolgter Mondlandungen, die nicht von vergleichbaren Protesten begleitet wurden, mag das auch um so schwerer verständlich sein.

Aber tatsächlich kommentierte der Navajo Albert Hale seine Protesthaltung folgendermaßen: Es sei eine Sache, den Mond zu betreten, ihn zu untersuchen und Proben zu nehmen. Etwas völlig anderes sei es jedoch dort menschliche Asche zu deponieren. Welch großen Unterschied das mache, hätte niemand bei der NASA erwartet. Niemals hätte man die religiösen Gefühle anderer verletzen wollen, war einer Stellungnahme der Presseabteilung der Nase zu entnehmen. Sollte jemals wieder ein ähnliches Vorhaben in Planung sein, werde man rechtzeitig Beratungsgespräche mit Indianern aufnehmen.

Umgekehrt erschien es Albert Hale aber als eine Selbstverständlichkeit, daß auch Wissenschaftler, die nicht mit dem Glauben der Navajo vertraut sind, die Konsequenzen ihres Tuns besser abschätzen können, bevor sie sich dazu hinreißen ließen, menschliche Gebeine auf einem derartig geheiligtem Ort zu verstreuen.

Spätestens jetzt müßte deutlich geworden sein, daß hier Weltanschauungen aufeinander treffen, die von völlig unterschiedlichen Voraussetzungen ausgehen.

Wer schon einmal Krimis von Tony Hillerman gelesen hat, ist auf unterhaltsame Weise damit bekannt gemacht worden, daß der Umgang mit dem Tod bei den Navajo von endlos vielen Tabus bestimmt ist. Der einstige persönliche Besitz von Toten wird rituell unbrauchbar gemacht und an unzugänglichen Orten deponiert. Der Gebrauch von Splittern menschlichen Gebeins ist gar Bestandteil schwarzmagischer Praktiken. Solche Überzeugungen sind nicht nur bei den Navajo, sondern beispielsweise auch bei den sprachverwandten Apache-Gruppen noch heute weit verbreitet und lebendig.

Dabei geht es keinesfalls nur um abergläubisches Gedankengut rückständiger Hinterwäldler, das mitunter für unseren Geschmack recht abstruse Ausmaße annehmen mag. Ausgesprochen seriös arbeitende Ethnologen haben im Verlauf ihrer Forschungen die Bedeutung religiöser Institutionen bei vielen indianischen Stämmen herausgestellt. Sie sind identitätsstiftend und von geradezu existentieller Bedeutung für den Fortbestand des Volkes und seiner Kultur. So fragmentär die Einsichten weißer Ethnologen auch sein mögen, sie lassen keinen Zweifel daran, daß die religiösen Spezialisten, die langjährige komplizierte Ausbildungen hinter sich haben, den Angehörigen ihrer Stämme in vielen Angelegenheiten am besten helfen können. Das schließt ergänzende Hilfestellung von weißer Seite, teils mit ganz andere Möglichkeiten - etwa im medizinischen Bereich, nicht aus. Ganz im Gegenteil. Bei entsprechend respektvollem Vorgehen ist sie wünschenswert und durchaus auch gewünscht. Dennoch bedarf es bei der Annäherung großer Aufmerksamkeit und Einfühlungsvermögen. Denn wie obiges Beispiel zeigt, kann es schnell zu Mißverständnissen kommen, wenn man von «Selbstverständlichkeiten« ausgeht, die eben nur in der eigenen Kultur als selbstverständlich gelten - abgesehen davon, daß sich auch im eigenen Kulturkreis die Geister scheiden mögen.

Was die religiösen Vorstellungen indianischer Völker betrifft, muß man jedoch nicht erst menschliche Gebeine auf den Mond verfrachten, um die Empörung von Anhängern der traditionellen Religionen zu wecken. Viele Probleme sind hier irdischer Natur. Immer wieder wurde im Coyote auch die Problematik der «sacred sites« diskutiert. Lakota fordern die Black Hills zurück, traditionelle Blackfeet wollen die Zerstörung von «Badger Two Medicine« verhindern, die Anhänger der traditionellen Religion unter den westlichen Apache wehren sich gegen den Teleskopbau auf Mount Graham.

Vielerorts sind archäologische Fundplätze indianischer Kulturen, darunter Kultstätten und Friedhöfe, Stätten mit ausgesprochen sakralem Charakter, Opfer von Raubgräbern, die ihre Funde auf einem florierenden Kunstmarkt zu hohen Preisen absetzen. Indianer wehren sich aber auch gegen viel «ehrenwertere« Vorhaben, ehrenwert zumindest aus weißer Sicht: Die systematische Ausgrabung archäologischer Stätten durch Wissenschaftler um die vergangene Wirklichkeit indianischen Lebens fachgerecht und auf hohem Niveau rekonstruieren zu können. Da ist vielen Indianer schon die Ausgrabung einer einfachen Siedlung zum Ärgernis geworden. Sie wollten die Wohnstätten ihrer Vorfahren lieber unberührt sehen. Die Konfrontationen, die aus solchen Situationen entstanden, sind jedoch einen eigenen Artikel wert.

Jedenfalls dürfte nach diesen Ausführungen klar geworden sein, daß es ich bei der eingangs erwähnten Kurzmeldung um eine Nachricht handelt, die im indianischen Amerika mit ganz anderen Maßstäben gemessen wird als bei uns. Zum einen würde man sie kaum als Kuriosum betrachten. Zum anderen war sie verschiedenen, indianischen Tageszeitung durchaus ausführliche Artikel wert. Albert Hale erkannte zwar die Bemühungen der NASA um ihren ehemaligen Mitarbeiter als gut gemeinte Geste an. Dennoch machte er eine nach wie vor anhaltende Ignoranz den Ureinwohnern Nordamerikas gegenüber als Ursache für die nicht hinterfragte Durchführung des Projekts verantwortlich. Ferner rief er die NASA dazu auf, Maßnahmen zu ergreifen, um im Rahmen des Möglichen eine Aussöhnung mit den indigenen Völkern zu suchen, deren religiöse Gefühle verletzt worden sind. Die Mondsonde mit der Asche Shoemakers befindet sich bereits in der Umlaufbahn und kann nicht mehr gestoppt werden. Was jedoch die anderen, irdischen Probleme betrifft, sind die Chancen zur Schadensbegrenzung ungleich größer. Bedauerlicherweise beweisen die amerikanischen Institutionen dort häufig in ungleich größerem Maße ihre Ignoranz.

Erstellt von oliver. Letzte Änderung: Samstag, 18. Januar 2020 23:41:35 CET von oliver. (Version 1)