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Die Vereinten Nationen im Schatten des Irak-Kriegs

Miguel Alfonso Martinez, Vorsitzender der WGIP (Foto: Oliver Kluge 2003) von Oliver Kluge (veröffentlicht 3/2003)

Die diesjährige Sitzung der Working Group on Indigenous Peoples der UNO in Genf war vom amerikanischen Irak-Krieg beeinflusst, wie zu erwarten. Nicht unbedingt vorhersehbar war die Wirkung: Milde positiv. Aus Platzgründen haben wir dieses Mal die Einführung in die Struktur der Working Group weggelassen. Interessierte Leser können detaillierte Beschreibungen in früheren Coyote-Ausgaben (etwa 3/02) oder im Internet finden.

Die Probleme der amerikanischen Bundesregierung im Nachkriegsirak sorgten dafür, dass deutlich kleinere Brötchen von den amerikanischen Diplomaten gebacken wurden, als das bislang Usus war. Kurz vor dem Meeting am Genfer See forderte der Senat einstimmig (!) die Regierung auf, auch die Hilfe Deutschlands und Frankreichs zu ersuchen. Offenbar werden sich die Amerikaner bewusst, wie sehr auch sie die UNO brauchen. Nicht einmal die treuesten Gefährten wie etwa Australien (seit der Howard-Regierung auf strammem Anti-Aborigine-Kurs) produzierten wesentliche Störmanöver.

Letztes Jahr war das anders, da übten die Falken aus dem Weißen Haus so heftigen Druck auf die UNO aus, dass die engagierte Menschenrechts-Hochkommissarin Mary Robinson zurücktrat, ihre Wiederwahl galt als Veto-gefährdet. Zum Nachfolger wurde der amerikafreundliche Sergio Vieira de Mello eingesetzt, der vor wenigen Wochen bei einem Bombenattentat in Bagdad ums Leben kam. Doch zurück nach Genf. Das angenehme Fehlen des Hintergrundgetöses sorgte dafür, dass die Delegierten aus aller Welt konzentriert ihrer Arbeit nachgehen konnten. Keine andauernden Debatten über das Ende der Working Group, der Vorsitzende Miguel Alonso Martínez benutzte gar die Bezeichnung »healthy« um deren Zustand zu charakterisieren.

In den kommenden Jahren greift jedoch der Mechanismus, mit dem die UNO reformiert werden soll. Alle UN-Gremien werden auf einen »Prüfstand« gehoben, auf dem sie zeigen müssen, ob Aufwand und Nutzen in einem sinnvollen Verhältnis stehen. In spätestens zwei Jahren wird die WGIP derart überprüft, doch Martínez zufolge habe sie dabei nicht viel zu befürchten.

WGIP-Teilnehmer bei CERN (Foto: Oliver Kluge 2003) Obwohl sie schon lange nicht mehr mit ihrer ursprünglichen Aufgabe betraut ist (Ausarbeitung eines Entwurfs für ein internationales Abkommen über die Rechte der Ureinwohner) und obwohl es in New York ein zweites UN-Organ für Indigene gibt (das Permanent Forum on Indigenous Issues PFII) ist die Reputation der Working Group glänzend.

Globalisierung Dieses Thema ist vielleicht das ausladendste, über das die Working Group diskutieren kann. Fast jedes Problem indigener Gesellschaften hat auf die eine oder andere Weise mit Globalisierung zu tun. Das weiß kaum jemand besser als der wiedergewählte Vorsitzende Martinez, Juraprofessor aus Kuba.

Und so berichteten die Delegierten und NGO-Vertreter von Handelsbarrieren gegen ihre Agrarprodukte, Überschwemmungen ihrer Märkte mit internationalen Billigprodukten, von Biopiraterie und wie immer auch von Übervorteilungen durch Wirtschaftsunternehmen und willfährige Regierungen. Streckenweise kam man sich in der WGIP wie in vorweggenommenen Sitzungen der WTO-Sitzung in Cancun vor.

Die Weitläufigkeit führte vorhersehbarerweise auch dazu, dass viele Vertreter sich zu Statements fernab der behandelten Themen hinreißen ließen, was - inklusiver der häufigen Ermahnungen durch den Vorsitzenden - nicht unbedingt die Aufmerksamkeit der Regierungsvertreter steigerte. Und doch - seltener Anblick - waren zwei Vertreter der Bundesrepublik über lange Strecken im Sitzungssaal und lauschten den Reden. Es wäre schön, wenn dies als ein Zeichen von steigendem Interesse unserer Regierung an der Working Group zu deuten wäre.

Der Indigenous Caucus Besonders intensiv waren die Diskussionen unter den indigenen Vertretern (dem Caucus) über die Bedeutung des anstehenden Endes der Dekade der indigenen Völker. Während viele Indigene darüber berichteten, dass ihre Regierungen praktisch gar nichts unternehmen und die Dekade einfach verstreichen lassen, berichten andere von Projekten und öffentlicher Förderung. Einhellig beklagen sie aber die geringe Wahrnehmung in der Öffentlichkeit, die sicher auch mit dem »verschobenen Beginn« (1993 statt 500 Jahre nach Kolumbus 1492) zu tun hat - aber auch mit der Gleichgültigkeit der Menschen in den Industrienationen. Schon diskutieren einige in der UNO über eine Verlängerung der Dekade beziehungsweise über eine zweite Dekade.

Doch am besten kann der Caucus immer noch über sich selbst debattieren, etwa ob ein Papier ein Caucus-Statement sein kann, wenn nicht sämtliche indigenen Vertreter bei der Abstimmung anwesend waren. Doch der Caucus hat auch seine schöneren Momente. Die gelebte Philosophie, dass jeder seine Meinung frei vortragen kann, sorgt immer wieder für eine Vielfalt an Strategieoptionen. Und wenn er sich einmal einig ist, hat die Stimme der Urvölker schon ein spürbares Gewicht.

Projekt “Indigenous Peoples Permanent Delegation to the United Nations in Geneva“ Ein alter Bekannter und regelmäßiger WGIP-Teilnehmer, Kenneth Deer (Mohawk), den treue Coyote-Leser kennen, müht sich seit zwei Jahren um ein ganz besonderes Projekt am Rande der Working Group, die „Indigenous Peoples Permanent Delegation to the United Nations in Geneva“.

Kenneth Deer (Foto Oliver Kluge 2003) Es soll eine Art Botschaft gegründet werden, die ähnliche Aufgaben haben soll wie die Botschaften der Nationalstaaten. Sie soll logistische Unterstützung für die Vertreter bieten und ihnen bei ihrer Mission vor der UNO helfen, und darüber hinaus das ganze Jahr hindurch Lobbyarbeit leisten.

Mittlerweile nimmt das Projekt Formen an, und es gibt erste vorsichtige Zusagen von Schweizer Regierungsoffiziellen. Sofern sich nun genügend indigene Völker als Mitglieder einschreiben, kann der Plan gelingen und die Ureinwohner bekommen eine kräftigere Stimme vor den Vereinten Nationen. Nicht-Regierungs-Organisationen soll eine Mitgliedschaft mit beobachtendem Charakter ermöglicht werden, was vielleicht einmal auch der Aktionsgruppe ganz neue Einblicke bescheren könnte.

Conseil Européen pour la Recherche Nucléaire Wer von der UNO aus zum Flughafen Cointrin und darüber hinaus Richtung französische Grenze fährt, kommt irgendwann in eine fast schon ländlich aussehende Gegend, in der unvermittelt eine Stätte europäischer High-Tech-Forschung steht, das CERN. Das europäische Vorzeige-Forschungsprojekt ist neben UNO und Rotem Kreuz die dritte Großeinrichtung in Genf. CERN ist das größte Kernforschungszentrum der Welt, mehrere riesige Teilchenbeschleunigerringe liegen tief unter der Erde. Doch was hat das CERN mit der WGIP zu tun? Am Mittwoch während der WGIP-Sitzung luden Physiker des CERN zu einer Informationsveranstaltung ein. Auf einem Amerikabesuch kamen einige von ihnen mit Indigenen und deren Problemen und Nöten in Berührung - und erinnerten sich der UNO vor ihrer Haustür. Die Kernforscher taten nun das, was die UNO jahrelang versäumt hat: Sie schufen eine Öffentlichkeit für Indigene und die Working Group.

Im großen Hörsaal berichteten Vertreter Amerikas, Afrikas und Asiens von ihrer Heimat und den Problemen ihrer Völker. Es ist zwar ein Zufall, aber vielleicht doch bezeichnend: Das CERN ist nicht nur ein Ort, an dem man herauszufinden sucht was die Welt im Innersten zusammenhält, es ist auch der Ursprung des World Wide Web. Dieser prominenteste Dienst des Internets, der dieses überhaupt erst populär machte, begann hier in Genf als Tim Berners-Lee 1991 nach einer Möglichkeit des Informationsaustausches mit Kollegen weltweit suchte.

An diesem Abend berichteten die Forscher nicht selbst, sie informierten über fremde Kulturen, indem sie Vertreter dieser Völker für sich selbst sprechen ließen. Den informativen Abend besuchten zwar überwiegend CERN-Mitarbeiter, jedoch war in Genf plakatiert worden, und für das bereits geplante nächste Jahr erwartet man noch mehr Teilnehmer. Der Abend der »conCERNed« Scientists war insgesamt ein gelungenes Projekt, zu dem man den Initiatoren nur gratulieren kann.

Erstellt von oliver. Letzte Änderung: Freitag, 28. Januar 2022 21:07:46 CET von oliver. (Version 6)