Liebe Unterstützer*innen,

der heutige 25.11. ist der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen, der 1991 von den Vereinten Nationen nicht nur als Gedenktag, sondern auch als Ausdruck der Solidarität mit den Opfern sexualisierter Gewalt ins Leben gerufen wurden.

Sexualisierte Gewalt an Frauen ist ein weltweites Problem (selbst in Deutschland wird fast jeden Tag eine Frau ermordet), doch Femizide an indigenen Frauen sind nicht nur Ausdruck toxischer Männlichkeit, sondern das Ergebnis einer menschenverachtenden systemischen Diskriminierung, die noch immer von der Gesellschaft weitgehend unbeachtet bleibt.

2004 veröffentlichten die Native Womens’ Organization of Canada sowie Amnesty International Canada die beiden ersten Studien über die Femizide an indigenen Frauen. Damals wurden in beiden Berichten 582 Fälle von verschwunden oder ermordeten indigenen Frauen dokumentiert — heute sind Tausende von Fällen bekannt, u.a. über 4.000 allein in Kanada. 27% aller ermordeten Frauen in Kanada sind laut offizieller kanadischer Statistik (2024) indigener Herkunft, obwohl Indigene nur 5% der kanadischen Bevölkerung stellen.

Seit der Veröffentlichung der ersten Berichte, d.h. seit über 20 Jahren, engagiert sich die Aktionsgruppe kontinuierlich gegen diese Gewalt an indigenen Frauen in den USA und Kanada. Mit Berichten, Ausstellungen, Vorträgen und Seminaren machen wir seitdem auf die besondere Situation der “Missing and Murdered Indigenous Women and Girls” (MMIWG) aufmerksam. Bei unseren Kampagnen – in Zusammenarbeit mit indigenen Frauen und Organisationen — wollen wir nicht nur die Öffentlichkeit informieren, sondern vor allem Maßnahmen zum Schutz der indigenen Frauen erwirken.

Während sich die Regierungen in Ottawa und Washington lange taub gestellt haben, haben die Vereinten Nationen das Problem immer wieder thematisiert und die Ignoranz, Gleichgültigkeit und Tatenlosigkeit der USA und Kanadas scharf kritisiert. Die 2007 von der UN-Vollversammlung — gegen den Widerstand aus Kanada, USA, Australien und Neuseeland — verabschiedete UN-Deklaration der Rechte der Indigenen Völker (UNDRIP), an der auch wir mitgewirkt haben, verweist explizit auf den Schutz von Frauen und Mädchen. Dies gilt auch für zahlreiche internationale Abkommen, u.a. die Konvention zur Überwindung der Diskriminierung von Frauen (Convention on the Elimination of Discrimination of Women, CEDAW), die sich zudem 2022 mit ihrer Empfehlung Nr. 39 speziell der Situation indigener Frauen widmet. Mit Verspätung haben inzwischen auch die USA und Kanada ihre Unterstützung für die Deklaration erklärt – 2021 wurde die UNDRIP in kanadisches Recht übernommen.

Der gemeinsamen Kampagne von Indigenen und Menschenrechtsorganisation war es zu verdanken, dass Kanada nach langem Zögern die geforderte “National Inquiry into Missing and Murdered Indigenous Women and Girls” 2016 ins Leben rief, welche 2019 ihren umfassenden Abschlussbericht vorlegte, der die Gewalt an indigenen Frauen als “Völkermord” bezeichnete und 231 “Calls to Justice” an die Regierung richtete.

Der Begriff des Genozids wurde in diesem Dokument nicht leichtfertig verwendet — doch jede indigene Frau, die einem Femizid als Frau und Indigene zum Opfer fällt, steht zugleich für den Angriff auf das Überleben der indigenen Völker. Zumal es neben den Femiziden immer wieder zu Sterilisation ohne Wissen oder gar Zustimmung der betroffenen indigenen Frauen kommt. 2021 legte die kanadische Regierung als eine der Forderungen der Untersuchungskommission einen “Aktionsplan” zur Bekämpfung der Gewalt an indigenen Frauen vor, doch auch sechs Jahre nach dem Bericht wurden erst zwei (!) der 231 Forderungen erfüllt.

Noch immer agieren Justiz und Strafverfolgung verantwortungslos, wenn sie die Opfer ignorieren, ihnen einen vermeintlich “riskanten Lebensstil” und damit “Mitschuld” an der Situation unterstellen oder die Täter nicht konsequent zur Verantwortung ziehen.

Auch in den USA sind indigene Frauen von systemischer Gewalt und Femiziden betroffen, wie wir in unserem Magazin Coyote regelmäßig berichten (siehe auch Nr. 140/141 zum Menschenhandel in Kanada).

Erst durch die Anstrengungen von indigenen und Menschenrechtsorganisation und nicht zuletzt dank des Engagements der früheren indigenen Innenministerin Deb Haaland wurden in den USA der „Not Invisible Act“ und der „Savanna’s Act“ 2020 verabschiedet, welche dazu beitragen sollten, indigene Frauen vor Gewalt zu schützen bzw. die Strafverfolgung der Täter besser zwischen den verschiedenen US- und Stammesbehörden zu koordinieren.
Mit dem Amtsantritt des aktuellen US-Präsidenten hat sich die Situation — wenig überraschend — noch verschärft. So sah der “Not Invisible Act” die Erstellung eines Berichts zur Gewalt an indigenen Frauen vor, doch kaum war Trump im Amt, verschwand der “Not One More”-Bericht (2023) von der Webseite des Justizministeriums — “Page not found” lautet noch heute die Suchanfrage.

Am heutigen Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen müssen wir uns unserer Verantwortung bewusst sein, Menschenrechtsverletzungen zu verhindern. Dies gilt auch für Femizide an indigenen Frauen.

Wie schon der Bericht der kanadischen Untersuchungskommission 2019 darlegte, spielte die Ressourcennutzung dabei eine besondere Rolle, denn dort, wo Öl oder Gas gefördert, Pipelines gebaut oder entsprechende Infrastruktur errichtet wird, entstehen Arbeitercamps, in deren Umfeld die Gewalt an indigenen Frauen explodiert, denn die begehrten Ressourcen liegen auf oder in direktem Umfeld indigenen Landes. Wenn Deutschland diese Ressourcen aus Kanada oder den USA importiert, tragen wir zu dieser Situation bei bzw. nehmen diese billigend in Kauf. Das darf nicht geschehen!

Die Bekämpfung der Gewalt an indigenen Frauen ist längst zu einem wichtigen Teil unserer Menschenrechtsarbeit für die Durchsetzung indigener Rechte geworden.

Bitte unterstützt uns durch Eure Spende, damit wir auch weiterhin den Indigenen solidarisch zur Seite stehen können.

Übrigens ist ein Abonnement unseres Magazins Coyote ein sinnvolles Geschenk — ob zu Weihnachten, zum Geburtstag oder einfach so.

In Solidarität mit dem Kampf der Indigenen um Selbstbestimmung!

Monika Seiller

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AGIM e.V. (Action Group for Indigenous and Human Rights, est. 1986) is a non-profit human rights organization dedicated to supporting the right to self-determination of Indigenous peoples in North America. We publish a quarterly magazine Coyote.

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