Mit einem Völkermord verglich die Wahrheits- und Versöhnungskommission (Truth and Reconciliation Commission, TRC) in ihrem Abschlussbericht 2015 das Verbrechen an den Indigenen in Kanada. Rund 150.000 indigene Kinder mussten von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert zwangsweise die Internatsschulen (Residential Schools) besuchen, deren letzte erst 1996 geschlossen wurde. In den Schulen, die meist von den Kirchen geleitet, aber vom kanadischen Staat finanziert wurden, sollte den Kinder ihre indigene Identität ausgetrieben werden, um sie in die kanadische Mehrheitsgesellschaft zu assimilieren.

 (Mushkego-Cree) (Foto: Norbert Witt) Generationen von Kindern wurden einem brutalen Zwangssystem sowie psychischem, physischem und sexuellen Missbrauch ausgesetzt, welches sie und ihre Familien schwer traumatisierte. Meist wurden sie zudem in Internate geschickt, die weit entfernt von ihrer Heimatgemeinde lagen, um den Kontakt mit Familien und Verwandten zu unterbinden. Häufig kehrten die Kinder nach ihrer Zwangsverschleppung („enforced disappearances“) nie mehr zu ihren Gemeinden zurück – zum Teil aus Scham, aber auch weil sie die Bindung zu ihren Familien durch die Zwangsassimilierung verloren hatten. Tausende Kinder überlebten das System der Residential Schools nicht — sie starben an Krankheiten, Hunger, Gewalt oder in manchen Fällen an Selbstmord.

Die Folgen dieses System sind ein generationsübergreifendes Trauma für die Indigenen. In der kanadischen Öffentlichkeit wurde das Verbrechen an den Indigenen hingegen — trotz einer halbherzigen Entschuldigung der kanadischen Regierung 2008 — jahrzehntelang verdrängt und totgeschwiegen. Erst die Gräberfunde an der Kamloops Residential School in British Columbia 2021 erinnerten an das Leid der indigenen Kinder und sorgte in Kanada für Schlagzeilen.

Die Familien wurden über das Schicksal ihrer „verschwundenen Kinder“ im Ungewissen gelassen. Dokumente wurden vernichtet, geschwärzt oder einfach an den Vatikan geschickt, ohne die betroffenen Familien zu unterrichten. Viele Familien wissen bis heute nicht, was mit ihren Angehörigen geschehen ist, ob sie gestorben und wo sie begraben sind. Die Gräberfunde von Kamloops verstärkten die Suche der indigenen Familien nach ihren Angehörigen — und nach der Wahrheit.

Auch Dr. Jackie Hookimaw (Mushkego-Cree), Aktivistin, ehemalige Lehrerin, Künstlerin und Soziologin aus Attawapiskat im hohen Norden der kanadischen Provinz Ontario sucht nach ihren Verwandten und wird darüber in einem Vortrag berichten.

Vortrag von Jackie Hookimaw-Witt

Datum: 20.11.2024 um 1900 Uhr
Ort: Eine-Welt-Hauslink-external, Schwanthalerstr. 80, München, Raum 211/212
(Eintritt frei)