Liebe UnterstützerInnen,
wie jeden Monat nachfolgend Infos zu aktuellen Entwicklungen und Terminen.
Coyote Nr. 138
Der neue Coyote ist druckfrisch erschienen und berichtet über eine Vielfalt an Themen. Dazu zählt der Bericht von der letzten Sitzung des UN-Expert Mechanism on the Rights of Indigenous Peoples, wo wir die Gelegenheit nutzen konnten, ein Interview mit Ruth Buffalo zu führen, die uns über ihre Arbeit bzw. die Fortschritte der National Native American Indian Boarding School Healing Commission berichtete. In diesem Kontext setzen wir uns auch erneut mit der Situation der Residential Schools in Kanada auseinander.
Ein ausführlicher Bericht widmet sich den Bemühungen zur Freilassung des indigenen politischen Gefangenen Leonard Peltier, der im September seinen 80. Geburtstag hinter Gittern “feiern” musste (siehe auch weiter unten).
Natürlich berichten wir auch über die Ausstellung “Matriarchs of Wounded Knee”, die wir im August in München präsentieren konnten.
Unter der Rubrik Kultur besprechen wir u.a. die Miniserie “Little Bird” über die Auswirkungen des Sixties Scoop, als indigene Kinder — nach der Internatsära — aus ihren Familien gerissen und zur Adoption freigegeben wurden.
Vortrag von Jackie Hookimaw aus Attawapiskat “Enforced Disappearances” — die verschwundenen Kinder der Indigenen
Die Situation indigener Kinder ist nach wie vor ein traumabehaftetes Thema für die Indigenen — nicht nur hinsichtlich der noch heute verheerenden Adoptionspolitik, sondern insbesondere hinsichtlich der Folgen der Internatsschulen. Nach dem Gräberfund an der Kamloops Residential School in British Columbia vor drei Jahren begannen die Indigenen verstärkt nach den “verschwundenen Kindern” zu suchen, d.h. nach jenen, die nach ihrer Verschleppung in die Internatsschulen niemals zu ihren Familien zurückkehrten. Die Familien wissen nicht, was mit ihnen passiert ist, ob sie gestorben und wo sie begraben sind. Ohne diese Gewissheit kann es für sie keine Heilung geben.
Auch Jackie Hookimaw (Mushkego-Cree), Aktivistin, ehemalige Lehrerin, Künstlerin und Soziologin aus Attawapiskat im hohen Norden der kanadischen Provinz Ontario sucht nach ihren Verwandten und wird darüber in einem Vortrag berichten.
Aktionsaufruf zur neuen Rundfunkgestaltung
Auf den ersten Blick mag die geplante Umgestaltung bzw. “Verschlankung” des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nichts mit indigenen Themen zu tun haben, aber die Rundfunkkommission plant gravierende Einschnitte im Sendeschema. Offensichtlich sollen die ZuschauerInnen mit der Dauerberieselung von Shows, kitschigen Romanzen und Krimis beglückt werden, so dass für die Kulturberichterstattung kein Platz mehr bleibt. Unter anderem sollen Kanäle wie 3sat, ARD alpha und ZDF Info gestrichen werden, die mit ihrem Programm aus Kultur, Gesellschaft und Politik genau jenen Bildungsauftrag erfüllen, für den auch die Rundfunkgebühren erhoben werden. Gerade Sender wie 3sat sind zudem wichtige Plattformen, auf denen gesellschaftliche Kontroversen behandelt werden. Oft sind sie die einzigen, die auch Themen zur Situation der Indigenen aufgreifen und — nebenbei — im Senderverbund zwischen Deutschland, Österreich und der Schweiz rechtspopulistischen bis rechtsextremen Trends entschieden entgegentreten. Kein Programmchef würde auf die Idee kommen, bei der (teuren) Sportberichterstattung zu kürzen, doch Inhalte für eine mündige Zivilgesellschaft werden ausgeblendet. Sender wie 3sat müssen erhalten bleiben!
Kommentare sind bis 11.10. einzureichen:
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Querverweis: 3Sat, ARD (ehem. BR) Alpha und ZDF Info, aber auch z.B. ZDF Neo vervollständigen unsere Rubrik “TV-Hinweise” — zusätzlich zu ARD, ZDF und Arte mit vielen empfehlenswerten Sendungen. Hier kann jeder nachsehen, wie viel diese sog. “Spartensender” leisten…
Rückgabe von menschlichen Überresten
Anfang Oktober erklärte die U.S. Army, dass die Überreste von neun indigenen Kindern, die in der berüchtigten Carlisle Indian Industrial School in Pennsylvania vor über einem Jahrhundert gestorben waren, an die Familien zurückgegeben wurden. Mehr als 10.000 indigene Kinder mussten das Internat zwangsweise im Zuge der Assimilierungspolitik zwischen 1879 und 1918 besuchen — viele überlebten nicht. Der Rückgabe war ein langer Streit vorangegangen, der erst mit Hilfe von DNA-Vergleichen der Kinder und der Familien beigelegt werden konnte. Dabei handelte es sich um drei Kinder der Oglala Lakota, weitere drei der Gros Ventre sowie jeweils ein Mitglied des Wichita, Seminole und des Eastern Shoshone Tribe. Das Schicksal unzähliger Kinder ist weiterhin ungewiss.
Abbitte der Canadian Medical Association (CMA)
Der kanadische Ärzteverband entschuldigte sich in einer feierlichen Zeremonie am 18. September in Victoria, British Columbia, für seine Rolle bzw. für das Leid, das Indigenen im kanadischen Gesundheitssystem zugefügt wurde und wird. Die Zeremonie wurde von den Songhees und Xwsepsum Nations, die zu den Coast Salish zählen, organisiert.
“Wir sind den ethischen Standards nicht gerecht geworden, die von der Ärzteschaft erwartet werden, um den höchsten Standard in der Patientenversorgung zu gewährleisten und das Vertrauen in Ärzte, Assistenzärzte und Medizinstudenten zu fördern”, sagte sie. “Uns ist klar, dass wir die indigenen Völker von diesem hohen Standard der Versorgung ausgeschlossen haben,” erklärte CMA-Präsident Dr. Joss Reimer. Neben den Mitgliedern der CMA nahmen rund 225 Gäste an den Feierlichkeiten teil, darunter viele Indigene.
Die Entschuldigung, die keine Verbindlichkeiten oder Konsequenzen nach sich zieht, kommt reichlich spät, wenn man bedenkt, dass in den berüchtigten “Indian Hospitals” bis ins 20. Jahrhundert medizinische Versuche an den indigenen Kindern aus den Internatsschulen durchgeführt wurden. Bis heute sind Indigene rassistischen Übergriffen im Gesundheitssystem ausgesetzt — erinnert sei an die jüngsten (Todes-) Fälle von Indigenen, die in den Fluren der Notaufnahme einfach “vergessen” wurden. Und noch immer werden indigene Frauen gegen ihren Willen sterilisiert. Eine simple Entschuldigung ist eine billige Verdrängung des Unrechts an den Indigenen — und damit völlig unzureichend.
Landrückgabe an die Onondaga
Die Onondaga Nation hat 1.000 Acres (405 Hektar) ihres angestammten Landes im Hinterland von New York zurückerhalten — einen winzigen Teil des Landes, das seit dem 18. Jahrhundert zu Unrecht vom Staat enteignet wurde.
Das stark bewaldete Land liegt südlich von Syracuse und in der Nähe des bundesstaatlich anerkannten Territoriums der Onondaga. Nach Angaben der Onondaga Nation wurde das Land, zu dem auch das Quellgebiet des Onondaga Creek gehört, Ende September vom Unternehmen Honeywell International Inc. an die Indigenen zurückgegeben. Die Honeywell International Inc. ist ein US-amerikanischer Mischkonzern mit Sitz in Morristown, New Jersey. Das Unternehmen ist einer der führenden Hersteller von Flugschreibern und Miteigentümer der einzigen Urankonversionsanlage in den USA, nördlich von Metropolis in Illinois. Der Deal erfolgte im Rahmen eines sogenannten “Superfund-Vergleichs” — als Ausgleich für die Umweltverschmutzung des Landes.
Das Land ist Teil eines Gebietes von 2,5 Millionen Acres (1 Million Hektar) im Zentrum New Yorks, das nach Angaben der Onondaga über Jahrzehnte hinweg von New York durch betrügerische Manöver, die gegen Verträge und Bundesgesetze verstießen, in Besitz genommen wurde.
Sid Hill, der Tadodaho oder Häuptling der Onondaga Nation, erklärte, dass die Ononadga die Vereinbarung zwar begrüßen würden, jedoch an ihren Forderungen nach Rückgabe des restlichen Landes festhalten. “Dies ist ein kleiner, aber wichtiger Schritt für uns und für die indigene Landrückgabebewegung (land back) in den Vereinigten Staaten”, so Sid Hill.
Klage gegen Wahlbehinderung
Sechs Indigene aus der Fort Peck Reservation in Montana reichten Anfang Oktober eine Klage gegen Beamte des Bundesstaates und der Bezirke ein, weil sie nicht genügend Möglichkeiten haben, persönlich zu wählen — das jüngste Kapitel in einem jahrzehntelangen Kampf der Stämme in den Vereinigten Staaten um Wahlgerechtigkeit. Sie fordern die Einrichtung von Wahllokalen in ihren Gemeinden, um sich für die Wahl registrieren und ihre Stimme abgeben zu können, ohne lange Fahrten zu einem Bezirksgericht in Kauf nehmen zu müssen.
Die Anfechtung, die vor einem staatlichen Gericht eingereicht wurde, erfolgt fünf Wochen vor den Präsidentschaftswahlen in einem Bundesstaat, in dem das Rennen um den US-Senat von entscheidender Bedeutung ist und in dem der republikanische Kandidat abfällige Bemerkungen über amerikanische Ureinwohner gemacht hat. Obwohl den Indigenen 1924, also vor genau einem Jahrhundert, die US-Staatsbürgerschaft “verliehen” wurde, müssen sie bis heute Einschränkungen und Behinderungen bei der Ausübung ihres Wahlrechts erfahren.
Viele Stammesmitglieder in den ländlichen westlichen Staaten leben in weit entfernten Gemeinden mit begrenzten Ressourcen und Transportmöglichkeiten. Das kann es schwierig machen, Wahlbüros zu erreichen, die sich in einigen Fällen außerhalb des Reservats befinden.
Die Kläger aus Montana wohnen in zwei kleinen Gemeinden nahe der kanadischen Grenze im Fort Peck Reservat, der Heimat der Stämme der Assiniboine und Sioux. Die Anwältin der Kläger, Cher Old Elk, ist in einer dieser Gemeinden, Frazer, Montana, aufgewachsen, wo mehr als ein Drittel der Menschen unterhalb der Armutsgrenze lebt und das Pro-Kopf-Einkommen laut Volkszählungsdaten etwa 12.000 Dollar beträgt.
Neue Gesetze in Kalifornien
Der demokratische Gouverneur von Kalifornien, Gavin Newsom, unterzeichnete im September zwei Gesetze, welche die Rechte der Indigenen stärken.
Zum einen handelt es sich bei Bill 81 um ein Gesetz, das den “Indian Child Welfare Act” (ICWA) im kalifornischen Recht bestärkt und damit einem wegweisenden Urteil des Obersten Gerichtshofs der USA folgt. Erst im vergangenen Jahr hatte der U.S. Supreme Court die Rechte der Indigenen im Hinblick auf die Betreuung bzw. Zuständigkeit für indigene Kinder bestärkt, nachdem ein texanisches Ehepaar dagegen geklagt hatte, dass ihm die Adoption eines Dineh-Kindes verweigert wurde. Der 1978 verabschiedete ICWA sieht vor, dass die indigenen Kinder in der weiteren Familie bzw. der indigenen Gemeinschaft verbleiben sollen, wenn die leiblichen Eltern nicht in der Lage sind, sich um das Kind zu kümmern. Dagegen hatte das Ehepaar geklagt mit der Behauptung, das Gesetz sei eine Diskriminierung nicht-Indigener.
Das zweite Gesetz (AB1821) verpflichtet die Schulen dazu, für die Abschlussklassen Unterrichteinheiten abzuhalten, in denen über die Kultur und Geschichte der Indigenen aufgeklärt wird. Die Pflichtkurse sollen dazu beitragen, Vorurteile abzubauen und die koloniale Geschichtsschreibung zu korrigieren. Der Goldrausch in Kalifornien Mitte des 19. Jahrhunderts hatte in besonderem Maß dazu beigetragen, Indigene von ihren Gebieten zu vertreiben und das Klischee der “Wilden” galt auch als Ausrede dafür, ihren Lebensraum zu zerstören. Kalifornien ist bis heute eine Ausnahme unter den US-Bundesstaaten, da es hier keine Reservate gibt, sondern nur Missions und Rancherias, die nicht über denselben Status verfügen wir Reservate.
Die beiden Gesetze belegen, welche Herausforderungen für die Durchsetzung indigener Rechte bzw. für deren Anerkennung auch noch am Anfang des 21. Jahrhunderts bestehen.
Innenministerium investiert $71 Millionen in die Stromversorgung von indigenen Gemeinden
Ende September kündigte US-Innenministerin Deb Haaland (Pueblo) an, im Rahmen des unter der Biden-Administration verabschiedeten “Inflation Reduction Act” 13 indigene Gemeinden, u.a. der Dineh in Arizona, der Lakota in South Dakota und der Chippewa in Minnesota, erstmals mit Strom versorgen wollen. “Jede Familie habe das Recht auf eine verlässliche, bezahlbare Stromversorgung”, erklärte die Innenministerin. Die Realität ist bislang jedoch eine andere — 2022 schätzte das Energieministerium, dass mehr als 16.000 indigene Haushalte über keinen Strom verfügen.
Aktueller Aufruf: Unterstützung für Leonard Peltier
Am 10. Oktober 2024 kommt US-Präsident Joe Biden zu einem Besuch nach Berlin. Nachdem die jüngsten Versuche gescheitert sind, den 80-jährigen politischen Gefangenen Leonard Peltier aus der Haft zu entlassen, besteht die letzte Chance, dass der schwer kranke Indigene das Gefängnis lebend verlässt, darin, dass der US-Präsident ihn aus humanitären Gründen aus der Haft entlässt.
Wir haben daher Außenministerin Annalena Baerbock sowie den Menschenrechtsausschuss des Bundestags ersucht, das Thema beim Besuch von Biden zur Sprache zu bringen und sich Leonard Peltiers Freilassung einzusetzen (siehe Anhang). Wir würden uns freuen, wenn sich weitere MenschenrechtsaktivistInnen an der Aktion beteiligen würden.
In Solidarität mit dem Selbstbestimmungsrecht der indigenen Völker
Monika Seiller
Aktionsgruppe Indianer & Menschenrechte e.V.
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Indianer-Netzwerk
Aktionsgruppe Indianer & Menschenrechte e.V. (AGIM) ist ein gemeinnütziger Verein (gegr. 1986) zur Unterstützung der Rechte der indigenen Völker Nordamerikas und Herausgeberin des Magazins Coyote.
AGIM e.V. (Action Group for Indigenous and Human Rights, est. 1986) is a non-profit human rights organization dedicated to supporting the right to self-determination of Indigenous peoples in North America. We publish a quarterly magazine Coyote.
Bankverbindung: IBAN DE28 7015 0000 0017 2234 70 / BIC: SSKMDEMM / Stadtsparkasse München
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