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Wasser als Menschenrecht – oder: Was auf dem Papier steht und was nicht

von Dionys Zink
(veröffentlicht 1/2007)

„Das Recht auf Wasser fällt eindeutig unter die Kategorie von Garantien, die als essentiell für die Sicherung eines angemessenen Lebensstandards anzusehen sind, insbesondere weil es eine der fundamentalsten Bedingungen für das Überleben darstellt.“
(United Nations Committee on Economic, Social and Cultural Rights)

Schon eine sommerliche Reise ans Mittelmeer bringt es zu Bewusstsein: Wasser ist keine Selbstverständlichkeit, nicht überall und nicht zu jeder Zeit. Die globalen Veränderungen verschärfen die Probleme im Zusammenhang mit Wasser überall auf der Welt. Die Voraussetzung des Lebens schlechthin wird immer häufiger knapp und der Zugang damit sowohl innerhalb von Regionen oder Staaten als auch zwischen Staaten zu einem Konfliktstoff.

Auch die amerikanischen Ureinwohner sind betroffen: Dineh-Indianer in Arizona beobachten seit Beginn der Kohleförderung in ihrem Territorium ein Absinken des Grundwasserspiegels, weil die im Tagebau gewonnene Kohle „gewaschen“ und „verflüssigt“ wird, damit man sie per Pipeline als Wasser-Kohle-Gemisch durch einen der trockensten Räume Nordamerikas verfrachten kann, um sie dann in Kohlekraftwerken zu verheizen. Auch die Bewirtschaftung der Ressource Wasser als Energielieferant und Wasserweg wird zum Problem für indigene Völker. Die Eingriffe in Quebec im Zuge des James Bay Projects veränderten nicht nur die Umwelt, sie zerstörten auch eine traditionelle Lebensweise vieler Cree-Indianer, die auf Jagd und Fallenstellerei basierte.

In Nevada ist es der Goldbergbau mit seinem Verfahren, Gold unter Verwendung von Zyanid aus dem Muttergestein zu lösen, welches die Wasservorkommen im ebenfalls klimatisch recht trockenen Gebiet der Western Shoshone gefährdet.

Und damit nicht genug: seit einigen Jahren bemühen sich multinationale Konzerne, wie zum Beispiel Vivendi oder Nestlé, um ein Geschäft mit dem Wasser, sei es in Europa oder über Tochterfirmen und Verflechtungen in Nordamerika und der sogenannten Dritten Welt. Wer den Niedergang öffentlich betriebener Versorgungsstrukturen in Europa beobachtet, bei dem schrillen die Alarmglocken. Die Vorstellung, dass die Wasserversorgung nach den selben Effizienz- (sprich Profit-) Gesichtspunkten wie die Briefkästen im Herrschaftsbereich der Deutschen Post AG organisiert werden könnten, hat nicht nur Umweltschützer, sondern auch Kommunalpolitiker in Europa hellhörig gemacht.

Logo der International Decade for Action 'Water For Life' Die Versprechungen der Konzerne waren zuerst verlockend. Sie behaupteten, dass sie eine sichere Wasserversorgung dort organisieren könnten, wo es Staaten nicht möglich sei. Dem Engagement folgte eine Phase der Ernüchterung. Mit Wasser ist in den unterentwickelten Ländern von wenigen Ausnahmen abgesehen kein Geld zu machen. Noch nicht. Deshalb konzentrieren sich die Bemühungen der Konzerne derzeit eher auf die Übernahme funktionierender Systeme in den reichen Ländern.

Kein Recht auf Wasser?link

Ein explizites Menschenrecht auf Wasser gibt es nicht. Keine Erklärung der Vereinten Nationen oder ein völkerrechtlich bindendes Abkommen befasst sich ausdrücklich mit dem Recht auf Zugang zu sauberem, gar trinkbarem, Wasser. Und dennoch gibt es ein Recht auf Wasser, weil es sich logisch aus anderen Rechtsvorstellungen ergibt.

Der internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPWSKR) sieht das Recht auf Nahrung (enthalten in Artikel 11, Lebenstandard) vor – und Wasser ist als Grundnahrungsmittel unersetzlich. Darüber hinaus ist Wasser die Voraussetzung für die Nahrungsmittelproduktion. Mehr als 70% allen Süßwasserverbrauchs geht auf das Konto landwirtschaftlicher Produktion. Bewässerungsland, etwa 18% der weltweiten Anbaufläche, bringt mehr als zwei Fünftel der Nahrungsmittel hervor. Trotz der teuer erkauften Steigerungen in der Nahrungsproduktion in den letzten vier Jahrzehnten, nimmt die Zahl des unter- und fehlernährten Teils der Weltbevölkerung nur langsam ab. Als einer der entscheidenden Faktoren, die ursächlich für die Misere sind, werden die Organisation und die Kosten der Verteilung von Wasser gesehen. So lange diese Probleme nicht angepackt werden, wird es nichts mit dem Ziel der Regierungen, das auf dem Welternährungsgipfel in Johannesburg 1996 verkündet wurde, nämlich die Zahl der unternährten Menschen bis 2015 halbieren zu wollen.

Des weiteren sieht der IPWSKR auch ein Recht auf Gesundheit vor (Artikel 12), aus dem sich der Zugang zu sauberem, trinkbarem Wasser ergibt. Was das damit abgeleitete Recht auf Wasser angeht, wird vom WSK-Komitee der Vereinten Nationen, das über die Einhaltung des Internationalen Pakts wacht, recht genau definiert.

Es geht dabei nicht nur um die objektiven Eigenschaften des Trinkwassers, etwa dass es nicht gesundheitsschädlich sein darf, sondern auch um die Akzeptanz. Wasser soll in Farbe, Geruch und Geschmack den Anforderungen seiner Konsumenten entsprechen, weil sich Bevölkerungen sonst aus diesen Gründen häufig für ein weniger sauberes, aber attraktiver wirkendes Wasser entscheiden würden.

Das Wasser muss einfach und direkt zugänglich sein, auch wenn dieses Ziel nur langfristig zu erreichen ist, wie das Komitee einräumt. Auch die Kostenfrage ist zu berücksichtigen, denn ein unbezahlbares Recht ist keins. Ausgerechnet die Ärmsten, stellt das Komitee fest, müssten häufig die höchsten Preise für Trinkwasser bezahlen.

Diese Überlegungen führten dazu, dass das eingangs zitierte WSK-Komitee weitreichende Verpflichtungen für die 143 Staaten ableitete, die dem IPWSKR beigetreten sind und diesen auch anschließend ratifizierten (also zur Rechtsgrundlage ihres eigenen innerstaatlichen Handelns erklärten). Sie wurden 2002 in einem Allgemeinen Kommentar (General Comment No.15) zusammengefasst, der sich speziell mit dem Thema Wasser befasst. Dabei beschränkt sich das Komitee auf die grundlegenden Wasserbedürfnisse wie Trinken, Waschen und Bewässerung zum Zweck der Subsistenzlandwirtschaft, klammert also Bewässerungswasser für die landwirtschaftliche Marktproduktion aus. Auf drei Ebenen sieht das Komitee die Staaten verpflichtet.

Staatliche Verpflichtungen: Respekt — Schutz — Gewährleistunglink

Sie dürfen den vorhandenen Zugang zu Wasser nicht durch eigenes Vorgehen, wie zum Beispiel neue Infrastrukturprojekte, behindern oder zerstören und müssen der Bestand der Wasserinfrastruktur auch in Krisenzeiten sichern („to respect“). Sie sind verpflichtet die Aktivitäten Dritter, z.B. wasserverbrauchender Industrien zu regulieren, so dass der Zugang zu Wasser von Individuen oder Personengruppen nicht zerstört wird. Bereits auf dieser sehr allgemein gehaltenen Ebene von Verpflichtungen wird auf bestimmte Personengruppen, z. B. Minderheiten oder indigene Völker verwiesen („to protect“). Und drittens sind die Staaten gehalten, positive Maßnahmen zu ergreifen, um denjenigen, die keinen oder nur unregelmäßigen Zugang zu Wasser haben, eine bezahlbare Perspektive zu ermöglichen („to fulfill“). Diese dritte Verpflichtungsebene stellt in der Diskussion das größte Problem dar, weil sich Völkerrechtler und Politiker — und nicht nur in der sogenannten Dritten Welt ! — immer hinter dem Argument verschanzen, die Verwirklichung dieser Verpflichtung würde Geld kosten, das gar nicht da sei, die Staaten also überfordern würde. Deshalb sei der Kommentar eben nur als politische Absichtserklärung mit Finanzierungsvorbehalt zu verstehen. Das Komitee vertritt dagegen die Auffassung, dass sein Kommentar zum IPWSKR auch hier mit Augenmaß formuliert ist. Zum einen erfordert die Umsetzung des Pakts auch bei anderen Rechten finanzielle Mittel. Andererseits seien die Staaten gar nicht verpflichtet, sofort allen Bewohnern ihrer Territorien ein Maximum an Versorgung zu garantieren, sondern ihre verfügbaren Ressourcen einsetzen („progressive realization“), um das Mögliche zu erreichen. Als erster Schritt dazu wird betrachtet, dass Staaten ihre Einwohner in den Stand versetzen sich selbst um ihre Wasserversorgung zu kümmern. Für den Fall, dass dies nicht möglich ist, hat der Staat dann die weitergehende Verpflichtung Wasser direkt zur Verfügung zu stellen, auch dies allerdings nur nach Maßgabe der zur Verfügung stehenden Mittel.

Auf der Prioritätenliste: Indigene Völkerlink

Ausdrücklich wird dazu angemerkt, dass der Staat dabei nicht diskriminierend und mit besonderer Sorge für besonders benachteiligte Gruppen oder Personen vorgehen soll. Ausführlich werden diese Gruppen genannt: Frauen, Kinder, Arme, Flüchtlinge und Ureinwohnervölker. „Der Zugang der indigenen Völker zu Wasservorkommen auf ihrem angestammten Land ist vor Übergriffen und ungesetzlicher Verschmutzung geschützt. Unterzeichnerstaaten sollen für Ureinwohnervölker Mittel bereitstellen, die sie in die Lage versetzen, ihren Zugang zu Wasser zu organisieren, sich zu versorgen und den Zugang zu kontrollieren.“

Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) betont die Interessen der Ureinwohner im Zusammenhang mit Wasser: „Viele indigene Gruppen verfügen über wichtige Traditionen für den respektvollen Umgang mit Wasser. Sie sind bedeutsam im Hinblick auf die Religion und Kultur, aber auch mit Blick auf die Bewahrung und Aufrechterhaltung von Trinkwasservorkommen.“

Die eingangs erwähnten Beispiele zeigen, dass Kontroversen um das Recht auf Wasser auch die Indianer in Nordamerika auf vielfältige Weise betreffen. Ein Blick auf die Realitäten in Kanada und in den USA zeigt auch, dass beide Staaten nicht einmal die grundlegenden Verpflichtungen gegenüber den indigenen Völkern innerhalb ihrer Staatsgebiete erfüllen wollen. Im Gegenteil: Während nach außen hin der Anschein erweckt wird, man sorge sich besonders um das Recht und die Gesundheit der Ureinwohner und scheue, wie letzthin in Kanada, sogar nicht einmal vor äußerst kostspieligen Maßnahmen wie der Evakuierung ganzer Gemeinden zurück, werden die wahren Hintergründe und Interessen, die erst zu den katastrophalen Bedingungen in den indianischen Gebieten und Siedlungen führten, verdrängt und vertuscht.

Nachdem man die Indianer von Katchewan, dessen Trinkwasser mit Coli-Bakterien verseucht war, ausgeflogen hatte, klopfte man sich stolz gegenseitig auf die Schulter und gratulierte den kanadischen Streitkräften zur erfolgreichen Bewältigung der Krise. Davon, dass man die Kläranlage, die als Ursache für die Verschmutzung und die deshalb notwendige Evakuierung betrachtet werden muss, entgegen den Vorstellungen der Indianer flussaufwärts gebaut hatte, war nicht mehr die Rede.

Zweischneidig: Wasserversorgung als Herrschaftsinstrumentlink


Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) unterscheidet vier Wasserversorgungsniveaus. Den besten Zugang („Optimal Access“) zu Wasser bieten vor allem die reichen Industriestaaten des Nordens, mit mehreren Wasserhähnen in jedem Haus, einer Versorgungsmenge von 100 bis 200 Litern pro Verbraucher, der Möglichkeit auch Wäsche zu waschen und einem sicherem Versorgungsnetz. Das andere Ende der Skala („No Access“) definiert die WHO so: Wasser in einer Entfernung von mehr als einem Kilometer oder einer Wegstrecke, für die mehr als 30 Minuten benötigt werden, bei einem möglichen Wasserverbrauch von etwa 5 Litern pro Kopf, unregelmäßiger Versorgung und in der Folge inakzeptabler hygienischer Verhältnissen.

In mehr als 80 Reservationen in Kanada gibt es eine behördliche Vorgabe, nach der Wasser vor dem menschlichen Verbrauch abgekocht werden soll. Das ursprünglich genutzte Wasser im Gebiet der Lubicon Cree dagegen ist nach jahrzehntelanger Verschmutzung durch die Erdölindustrie nicht mehr trinkbar, selbst wenn man es noch solange abkocht. Um trinkbares Wasser, also keine stinkende oder gesundheitsgefährdende Brühe wie in der Nachbargemeinde Cadotte Lake, nach der Maßgabe des IPWSKR-Kommentars zu erhalten, müssen die Cree-Indianer Wasser in Flaschen aus den Supermärkten von Peace River oder anderen Orten beschaffen. Peace River ist etwa 100 Kilometer von der Lubicon-Siedlung Little Buffalo entfernt. Die überwältigende Mehrheit der Lubicon Cree ist auf die schmale Wohlfahrtsunterstützung angewiesen, seit die Erdölindustrie ihre traditionelle Erwerbsgrundlagen zerstört hat, und kann sich dieses Wasser eigentlich nicht leisten.

Die Lubicon Cree und ihre Unterstützer sehen in dieser Situation eine konkrete Menschenrechtsverletzung im Sinn des IPWSKR. Die kanadischen Behörden reagierten darauf mit Erklärungen, sie wollten die Wasserzufuhr und Abwasserentsorgung in Little Buffalo ja verbessern, die politische Führung unter Chief Bernard Ominayak würde dies aber nicht zulassen. Die Cree seien selbst für die menschenunwürdigen Verhältnisse verantwortlich, so kanadische Regierungsvertreter, unter Hand behaupteten sie gegenüber der kanadischen Presse sogar, die Lubicon würden sozusagen ihre eigenen Leute als Geiseln halten, um weiterhin internationale Unterstützung, etwa aus Europa zu erhalten.


Die kanadischen Behörden boten den Cree an, eine ausgediente Shell-Pipeline zur Trinkwasserversorgung umzurüsten. Das Wasser würde aus weiter Entfernung und sicheren Vorkommen herangeführt werden. Jedoch würden noch mehrere Jahre vergehen, bevor dieses System funktionieren würde. Die Lubicon Cree weigern sich dieses Angebot anzunehmen, weil sie der für diesen Plan zuständigen Provinzregierung von Alberta kein Mitspracherecht bei ihrer kommunalen Wasserversorgung zugestehen wollen. Sie sehen ihre Hoheitsrechte bzw. ihre zukünftigen Vertragsrechte verletzt, wenn ihr verfassungsmäßig nur der kanadischen Bundesregierung unterstelltes Territorium die Zuständigkeit für Wasser und Abwasser an die Provinz abgibt.

Die scheinbar großzügige Lösung für die etwa 500 Indianer eine eigene Wasserpipeline über 100 Kilometer zu installieren, hat seinen Grund auch wohl nicht in dem Versuch Kanadas seinen Menschenrechtsverpflichtungen nachzukommen, sondern eher handelt es sich um ein Manöver, mit dem die fortgesetzte industrielle Nutzung der Wasservorkommen im Land der Lubicon Cree gesichert werden soll. Das bisher unveräußerte traditionelle Jagdgebiet der Indianer birgt reiche Vorkommen an Teersanden, welche die letzte wirklich große Öllagerstätte des nordamerikanischen Kontinents darstellen. Um den Sand vom Rohöl zu trennen, werden große Mengen an Wasser benötigt, nach derzeitigen Stand der Technik etwa fünf Barrel Wasser pro Barrel Rohöl. Die Provinzregierung Albertas versucht offensichtlich mit allen Mitteln zu verhindern, dass die Lubicon Cree eine eigene Versorgung mit Wasser aus tieferen Gesteinsschichten aufbauen, weil diese dann entweder in Nutzungskonkurrenz mit der Industrie stünde oder die industrielle Erschließung der Teersandvorkommen beeinträchtigen könnte, weil man dann auf die Wassersicherheitsinteressen der Indianer Rücksicht nehmen müsste. Wie so oft in Fragen des Menschenrechtsschutzes nimmt der fürsorgliche kanadische Staat für sich in Anspruch alles zu tun, seine diesbezüglichen Verpflichtungen zu erfüllen.

Wer`s glaubt wird selig…

Erstellt von oliver. Letzte Änderung: Donnerstag, 9. Dezember 2021 02:01:04 CET von admin. (Version 5)

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