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Louise Erdrich: Die Antilopenfrau

Die Antilopenfrau (Cover: Rowohlt Verlag) Alte Neuerscheinungen von Louise Erdrich entdeckt
von Dionys Zink
(veröffentlicht 1/2004)

Wer sagt eigentlich, dass Buchrezensionen immer nur Neuerscheinungen vorstellen müssen? In einer mit Druckerzeugnissen sintflutartig überschwemmten Welt gehört es zu den besonders beglückenden Leseerfahrungen hin und wieder auf Titel zu stoßen, die der eigenen Aufmerksamkeit entgangen waren oder zu entgehen drohten, etwa weil sie nur als fremdsprachiger Text erhältlich sind.

Im Fall von Louise Erdrich ist diese Erfahrung dem Verfasser gleich zweimal zuteil geworden. Bereits 2001 erschien bei Rowohlt „Die Antilopenfrau“, zweifellos das bisher persönlichste Werk der Autorin mit deutschen und Chippewa-Vorfahren. Erdrich schildert hier in einer bewusst zeitlich und personal vage gelassenen Mehrfachperspektive die schmerzhaften Beziehungen zwischen zwei Männern und einer Frau, die als Nachfahrin eines Mädchens, das ein Massaker des 19. Jahrhunderts zur ungebundenen Antilopen-Frau geworden ist.

Erdrich lebte mit Michael Dorris zusammen, ebenfalls Schriftsteller, mit dem sie 1991 den Roman „Die Krone des Columbus“ verfasste. Dorris nahm sich 1999 das Leben und so sah sich Louise Erdrich bemüßigt, dem deutschen Text einen Hinweis voranzustellen, dass das Buch vor dem Tod ihres Mannes entstanden sei.

Louise Erdrich 2015 (Foto: Slowking) Es ist sicher nicht richtig, Literatur unmittelbar in das reale Leben einer Autorin zurückzuspiegeln, andererseits glaubt der Leser in allen bisherigen Erdrich-Romanen eine überpersönliche Wahrheit oder Wirklichkeit des Lebens erkennen zu können, die in ihrer Dichte eben nicht nur schriftstellerischer Begabung und Handwerk erzeugen, sondern das Leben selbst. Sperrig also und streckenweise mühevoll bleibt die Lektüre allemal, so dass sich vielleicht auch damit erklärt, warum „Die Antilopenfrau“ nicht als Taschenbuch erschienen ist und derzeit in der Ladenkette 2001 zum reduzierten Preis verkauft wird: Zu anstrengend für Leser auf der Suche nach Ablenkung und Unterhaltung.

Eine Anfrage bei Erdrichs deutschem Verlag ergab, dass die neueste Erzählung mit dem englischen Titel „The Last Report on the Miracles at Little No Horse“ bedauerlicherweise wohl auf absehbare Zeit nicht in Deutschland erscheinen wird.

Mit diesem Roman gibt Louise Erdrich ihre übliche kaleidoskopartige Erzählweise auf und stellt die Handlung aus der Sicht eines über hundertjährigen katholischen Priesters dar, der in ein kirchliches Verfahren zur Seligsprechung einer stigmatisierten indianischen Nonne verwickelt wird, die in Wirklichkeit einen Mord begangen hat. Doch der Priester Damien Modeste trägt nicht nur dieses Beichtgeheimnis mit sich herum, er kennt die hintergründigen Wege auch der nichtchristlichen Reservatsbewohner von Little No Horse und nicht zuletzt schleppt er auch seine eigene Geschichte mit sich herum.

The Last Report on the Miracles at Little No Horse (Cover: Harper and Collins) Thematisch steht der „Last Report…“ in innerer Verwandtschaft zu Jeffrey Eugenides’ Roman „Middlesex“, geht es doch auch bei Erdrich um Geschlechterrollen und ihre Wahrnehmung. Erdrichs Roman zeigt, dass sich traditionelle Gesellschaften, wie zum Beispiel die Anishinabe (Chippewa) nie mit der Festlegung auf dualistische Modelle begnügten, sondern dass einzelne Personen mit besonderen Eigenschaften gewissermaßen zwischen und neben der Mehrheit existieren, sie ergänzen, ja sogar das Überleben der Gesellschaft sichern helfen.

Ein Blick auf diverse Ankündigungen im Internetz verrät, dass Louise Erdrich bereits einen weiteren Roman verfasst hat, dessen Veröffentlichung bevorsteht. Diesmal gilt: Wir bleiben dran…

Louise Erdrich, Die Antilopenfrau ist im Rowohlt Verlag 2001 als gebundenes Buch erschienen und umfasst 318 Seiten. Der Ladenpreis scheint für einen Teil der Auflage aufgehoben worden zu sein. Ein Teil der Restauflage ist verbilligt bei 2001-Läden erhältlich.

„The Last Report on the Miracles at Little No Horse“ liegt bisher nur als amerikanische Ausgabe bei Harper und Collins und den diesem Verlag angeschlossenen Taschenbuchverlagen vor. Der Originaltext hat einen Umfang von 361 Seiten.

Erstellt von dionys. Letzte Änderung: Samstag, 29. Januar 2022 20:30:31 CET von oliver. (Version 12)

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