Ein Volk blickt nach vorn
Hoffnungsvolle Perspektiven im Magazin „National Geographic Deutschland
von Robert Stark
(veröffentlicht 3/2004)
Die National Geographic Society aus Amerika blickt auf eine 116jährige Geschichte zurück. Die Gesellschaft hat sich der Förderung von vielversprechenden Forschungsprojekten sowie der Popularisierung wissenschaftlicher Erkenntnisse verschrieben. Eine maßgebliche Säule für diesen Zweck ist das Monatsmagazin „National Geographic“, das seit 1999 auch in einer deutschen Ausgabe verfügbar ist.
Das amerikanische „Mutterblatt“ hatte sich immer wieder indianischer Kulturen Nordamerikas angenommen, teils mit opulenten Beilagen, wie aufwändigen, großformatigen Faltkarten. In der deutschen Septemberausgabe 2004 war der Leitartikel der aktuellen Situation nordamerikanischer Ureinwohner gewidmet. Natürlich hat die Coyote-Redaktion interessiert, welche Erkenntnisse dort unter das Volk gebracht worden sind. Das Titelblatt schmückte ein junger Navajo im „Fancy-Dress“, wie es auf bunten Pow-Wows zu bewundern ist.
Das ist zwar nicht besonders einfallsreich, aber marktstrategisch richtig gedacht. Der hohe Wiedererkennungswert eines dem Klischeebild möglichst nahe kommenden, attraktiven Bilderbuchindianers mit stoisch anmutendem Blick in die Ferne hat schließlich auch uns aufmerksam gemacht. Dass die Redakteure des National Geographic jedoch ganz anderes im Sinne hatten, als die bloße Bedienung von Klischees, zeigt ein Blick auf die den Artikel im Inneren des Hefts begleitenden Photos.
Dort erscheinen die Protagonisten nahezu ausnahmslos in ihrer Alltagskleidung, die sich von der eines Amerikaners oder Westeuropäers kaum unterscheidet. Der Blick auf die armseligen Barracken von Tuba City auf der Navajo- Reservation zeigt keine Idylle. Dergleichen wird auch nicht im Text beschworen. Stattdessen werden exemplarisch Probleme der Indianer vorgestellt und mit welchen Projekten einzelne Stammesgemeinschaften und Einzelpersonen die Gegenwart meistern und die Zukunft ihrer Völker zu sichern suchen. Garant für eine solide Darstellung aus indianischer Perspektive war die Wahl des indianischen Autors Joseph Bruchac.
Der Abenaki ist eine vielfach ausgezeichnete Größe der indianischen Literaturszene und weit darüber hinaus bekannt. Über 50 Bücher für Kinder und Erwachsene sowie hunderte von kleineren Publikationen stammen aus seiner Feder. In seinem Artikel für National Geographic gibt er die Essenz seiner Gespräche mit Vertretern verschiedener indianischer Nationen wieder. Flüssig zu lesende Plaudereien über durchaus ernste Inhalte lösen sich mit erläuternden Kommentaren und anschaulich geschildertem Hintergrundwissen ab.
Dennis Rousseau von den Cheyenne-River-Sioux berichtet über die Viehwirtschaft mit einer 3000 Tiere umfassenden Bisonherde, der größten Herde im Besitz eines Stammes. Der Löwenanteil des Fleisches wird für die Versorgung von Stammeseinrichtungen verwendet. Fernziel sei eine neue Bisonkultur, was neben den Aspekten der Selbstversorgung sowie der Erwirtschaftung von Finanzen auch ein Anknüpfen an spirituelle Traditionen erlaube. Schließlich nahm der Büffel eine zentrale Rolle im Weltbild der Plainsindianer ein.
Ron Boshey und sein Sohn Barry beschreiben die Wiedereinführung und Modernisierung des Wildreisanbaus bei den Chippewa. Der Mohawk Brad Bonaparte erzählt von seinen Erfahrungen als Stahlbaumonteur in New York, vor allem bei den Aufräumarbeiten im Anschluss an den Anschlag vom 11. September 2001. Andere übergreifende Themen sind die Spielkasinos in indianischem Besitz, deren kontrovers diskutierte Rolle differenziert geschildert wird. Unbestreibar sichern sie jedoch den Finanzhaushalt vieler Stämme, die sonst kaum über vergleichbare Erwerbsquellen verfügen würden.
Ein anderes Thema ist die Wiederbelebung und Pflege der Stammessprachen, eine der maßgeblichen Säulen für die Rückbesinnung auf die eigene Identität.Wie diese Rückbesinnung auf die eigenen Wurzeln die Wunden jahrzehntelanger Unterdrückung und Zwangsumerziehung zu heilen vermag, zeigt der Artikel an exemplarischen Beispielen auf. Zugleich weist er auf die Notwendigkeit politischen Engagements hin, z.B. im Zusammenhang mit den angekündigten Kürzungen der Unterstützung indianischer Völker durch die Bush-Regierung.
Es bleibt zu wünschen übrig, dass auch andere Darstellungen zu diesem Thema dieses Niveau erreichen, was leider nicht immer der Fall ist. Die National Geographic Society darf sich jedoch rühmen, ihren hohen Ansprüchen gerecht geworden zu sein. Die Kunst der Popularisierung wird dort vorbildlich beherrscht.