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Quebec und Neufundland verhandeln ohne Innu

Wasserkraftprojekt am Lower Churchill River
von Ludwig Seiller
(veröffentlicht 2/1998)

Am Montag, den 9. März versperrten protestierende Innu den Premierministern von Quebec und Neufundland den Zugang zum Gebiet der Churchill Falls, wo eine Abkommens-Unterzeichnung neuer Wasserkraftprojekte geplant war. Lucien Bouchard, Premierminister von Quebec, und Brian Tobin, Premierminister von Neufundland, wollten eine Reihe von Vereinbarungen unterzeichnen, die die weitere Nutzung des Churchill Rivers in Labrador zur Energieerzeugung zum Inhalt haben. Die beiden versuchten die Demonstranten zu überreden, sie durchzulassen, was ihnen jedoch nicht gelang. Während sie in ihrem Auto saßen, umzingelten die Innu den Van, riefen Slogans und schlugen gegen die Türen sowie ihre Trommeln. Auch die »kleinen Innu« waren mit von der Partie. Kleinkinder trugen Protestschilder, beinahe so groß wie sie selbst. Ein Junge bekundete ein entschiedenes »No Dam Way«. Nach fast einer Stunde, sahen sich die beiden Politiker gezwungen, ihr Fahrzeug zu verlassen und sich zu Fuß auf den Weg zurück zum Flughafen zu machen. Während die beiden Premierminister mit dem Hubschrauber zu dem geplanten Treffpunkt flogen, marschierten die Innu zum »Konferenzzentrum«. Kurzerhand wurden die Reporter von dem Ort der geplanten Presseerklärungen »entfernt«, so daß sie einen anderen Ort für die »fotogene« Unterzeichnung wählen mußten. »Wir haben Ihnen gezeigt, daß sie

uns nicht mehr zum Narren halten können«, sagte Paul Rich von den Innu. »Mit jedem größeren Projekt, das sie wie dieses voranbringen wollen, müssen sie zuerst mit uns über die Entschädigung für das alte Upper Churchill Projekt verhandeln.«

Der Protest lenkte die Aufmerksamkeit von einem der größten Investitionsvorhaben der letzten Jahre ab. In eine abgelegene Gemeinde, »in der Wildnis«, die normalerweise nur zweimal pro Woche angeflogen wird, waren 14 Flugzeuge, bepackt mit Politikern, Beamten, Geschäftsleuten und Journalisten zur geplanten Unterzeichnung angereist.

Die Einladung an die Innu Chiefs sich kurz davor über die Ereignisse informieren zu lassen, wurde von diesen abgelehnt, da ja bereits über die wichtigsten Punkte entschieden worden war. «Als ich das gesamte Material am Montag las, war ich darüber entsetzt, wie weit die Verhandlungen schon waren…«, sagte die Präsidentin der Innu-Nation, Katie Rich am 12. März 1998 über die Gespräche, die Quebec mit Neufundland bezüglich des geplanten Wasserkraftprojekts am Lower Churchill führten. Und weiter, «… uns wurde von Premierminister Tobin versichert, daß die Gespräche über die Projekte nur vorläufiger Natur seien und keine Entscheidungen getroffen würden. Doch diese Verhandlungen waren weit mehr. Detaillierte Entscheidungen wurden gefällt ohne die Interessen oder alternative Vorschläge der Innu zu berücksichtigen.«

Eigentlich hätte man dies schon erahnen können. Auch bei früheren Projekten von Hydro-Quebec hatte man die betroffenen indianischen Gemeinden stets vor vollendete Tatsachen gestellt. Dabei hatten die Innu schon mehrfach vorher die Provinzregierungen von Neufundland und Quebec davor gewarnt Entscheidungen ohne die Innu zu treffen.

Monatelang hatten Vertreter beider Provinzen in geheimen Verhandlungen über das Lower Churchill Projekt gesprochen. Premierminister Tobin bestritt sogar, daß überhaupt Verhandlungen stattfinden würden, und das obwohl zuvor Andre Caille, der Präsident von Hydro Quebec, verlauten ließ, daß man kurz vor Abschluß eines Vertrages stehen würde. Noch am 6. März schrieb Tobin, «daß er noch keine Dokumente unterzeichnet habe und dies auch nicht beabsichtige. Die Gespräche dienten lediglich dazu um einen Rahmen abzustecken…«. Wieder einmal wurden die Innu belogen und hintergangen. Daniel Ashini, Vizepräsident der Innu-Nation erklärte daraufhin, daß die Innu alle notwendigen Maßnahmen ergreifen würden, um Neufundland und Quebec daran zu hindern, irgendwelche Verträge über das Lower Churchill oder andere Staudammprojekte im Gebiet der Innu abzuschließen, ohne ihre Zustimmung einzuholen. Auch Guy Bellefleur, der Unterhändler der Mamit Innuat (der Innu in Quebec), betonte, daß sie vereint mit der Innu Nation (den Innu von Labrador) der Regierung eine starke Reaktion präsentieren würden, wenn diese so weitermachen wie bisher.

Die Provinzregierungen beschlossen, daß das Gull Island Projekt durchgeführt wird, wobei die Anteile zu 65,8 % bei Neufundland und 34,2 % bei Hydro Quebec liegen sollen. Es sieht vor, einen Damm am Lower Churchill River, ca. 200 km unterhalb des bereits bestehenden Kraftwerkskomplexes am Upper Churchill River und ca. 100 km flußaufwärts von Happy Valley/Goose Bay, zu errichten, der 100 Meter hoch und 1,3 km lang ist. Die Kosten hierfür belaufen sich auf ca. 3,2 Mrd. Can $. Die Leistung des Kraftwerkes soll 2200 MW betragen. 1000 MW hiervon werden für Neufundland und Labrador Hydro reserviert.

Für 600 Mio. Can $ soll ein neues Kraftwerk mit zwei Turbinen am Upper Churchill River errichtet werden wodurch die Leistung des Komplexes dann um ca. 1000 MW auf 6200 MW steigen soll. Hierfür müssen die beiden Flüsse St.Jean und Romaine in Quebec teilweise in das Smallwood-Reservoir nach Labrador umgeleitet werden (Kosten 700 Mio. Can $).

Eine neue Hochspannungsleitung von 735 kV soll von Gull Island zu den bestehenden Anlagen am Upper Churchill River sowie eine 735-kV-Leitung an die Grenze von Labrador und weiter zur Montaigne Station in Quebec errichtet werden. Die Kosten in Höhe von 3 Mrd. Can $ teilen sich Neufundland/Labrador Hydro und Hydro Quebec. Des weiteren wird eine 2,2 Mrd. Can $ teuere 400-kV-Verbindung zur Insel Neufundland mit einem Unterwasserkabel und einer Leistung von 800 MW gebaut.

Die Regierungen wollen eine Untersuchung durchgführen lassen ob es möglich ist, an den Muskrat-Fällen ebenfalls ein Kraftwerk mit 800 MW und Kosten in Höhe von 2 Mrd. Can $ zu errichten.

Die insgesamt 2200 MW zusätzlich verfügbare Leistung sollen von Hydro Quebec am nordamerikanischen Markt verkauft werden.

Außerdem errechnen sich die Beteiligten eine «Treibhausgas-Gutschrift« nach dem Protokoll von Kyoto, die etwa 15 % der zugesagten Einsparungen Kanadas bis zum Jahr 2008-2012 entspricht.

Die Verfügbarkeit großer Energiemengen dient der Regierung dazu, Industriebetriebe anzulocken, die einen hohen Energiebedarf haben, wie z.B. die Aluminiumverarbeitung. In diesem Zusammenhang sind auch die Bestrebungen von Neufundland zu sehen, in Voisey Bay, wo große Nickelvorkommen lagern, einen solchen Komplex anzusiedeln. Verbunden mit den geplanten Wasserkraftprojekten ist die Überflutung großer Gebiete, am Lac Joseph wären etwa 7000 km² betroffen. Die Regierung von Neufundland hat auch die Vollendung des Trans-Labrador-Highway geplant, wenn die Erweiterungen durchgeführt werden. Dies hätte unter anderem auch zur Folge, daß die Anzahl der Nicht-Innu, die in diesem Gebiet jagen möchten, steigen würde. Auch wäre es einfacher für die Holzindustrie ihre Kahlschlagpläne zu verwirklichen.

Spätestens seit dem Delgamuukw-Urteil des Supreme Court hätten Lucien Bouchard und Brian Tobin, die beiden Premierminister, erkennen müssen, daß sie nicht mehr so handeln können wie vor dreißig Jahren, als die Innu nicht einmal über den Bau des Staudammes bei dem Upper Churchill Falls informiert wurden (In dieser Auseinandersetzung entschied der Supreme Court am 11. Dezember 1997, daß die Konsultation und Entschädigung der betroffenen eingeborenen Völker fundamentale Voraussetzungen für jegliche weitere Entwicklungen auf deren Land darstellen). Damals wurden die Innu weder gefragt noch darüber informiert, was mit ihrem Land geschehen würde, wenn es geflutet wird. Bis heute erhielten sie auch keine Entschädigung für die dadurch entstandenen Schäden. Die Innu verloren nicht nur das Land, sonder auch einen Teil ihrer Geschichte und Identität als Innu.

Neufundland muß seiner Verantwortung gegenüber den Innu nachkommen und auch endlich ein Landrechtsabkommen mit ihnen abschließen. «We will not be bulldozed again« schloß Katie Rich ihre Botschaft an die beiden Premierminister.

Erstellt von oliver. Letzte Änderung: Samstag, 18. Januar 2020 23:55:29 CET von oliver. (Version 1)