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Die bekannten Unbekannten

Casino der Cherokee (Photo: AGIM) Indianer im Osten der USA
von Dionys Zink
(veröffentlicht 3/2005)

Eine Fahrt durch die Appalachen im Osten der USA offenbart ein wenig vertrautes Amerika, das in seiner naturräumlichen Gestalt und Kolonialgeschichte sehr viel europäischer wirkt, als man erwarten würde. Enge Täler in einem Mittelgebirge, das teilweise beachtliche Höhen erreicht, - das erinnert tatsächlich an typische Mittelgebirgslandschaften Deutschlands. Je nach Gesteinsbeschaffenheit des Untergrunds fühlt man sich in die Schwäbische Alb oder den Schwarzwald versetzt.

Die Appalachen und die ihnen vorgelagerten Piedmonttreppen waren auch die Heimat der Cherokee, bis diese mittels des Indian Removal Act 1829 auf den „Pfad der Tränen“ in das Indianerterritorium (den späteren US-Bundesstaat Oklahoma) getrieben wurden.

Tatsächlich erfasste die ethnische Säuberung jedoch nicht alle Cherokee. In North Carolina konnte eine kleine Gruppe ein Bleiberecht aushandeln, weil sie einem Vertrag von 1819 zufolge auf verbrieftem eigenem Land lebten. Diesen Indianern schlossen sich später weitere an, die vor der Vertreibung in unzugängliche Gebirgstäler geflüchtet waren oder als Kollaborateure der US-Armee selbst nicht vertrieben wurden. So entstand die Qualla Cherokee Band in North Carolina. Für viele Amerikaner, die an der Ostküste bzw. ihrem Hinterland leben, und das ist trotz der Bevölkerungszuwächse im Westen der USA immer noch die Mehrheit, sind die Cherokee und ihr Reservat vermutlich die primäre indianische Erfahrung, welche die Einstellung gegenüber den Ureinwohnern genauso prägt wie die Zerrbilder Hollywoods.

Im amerikanischen Schwarzwaldlink

Cherokee liegt in einem Talkessel unterhalb des Smoky Mountains National Park und bietet mit seinem Kasino an der Mainstreet einen vorhersagbaren Anblick. Parkplätze, Restaurants und Andenkenläden mit indianischem Kitsch jeder Provenienz prägen die Szenerie. Doch im Ort ist noch einiges mehr zu entdecken: Ein Cherokee-Museum, ein Museumsdorf mit traditionellen Handwerkern und sogar eine Freilichtbühne, auf der im Sommer die Geschichte der Cherokee von Sequoiah bis zum „Pfad der Tränen“ einem Publikum präsentiert wird, das mittlerweile in die Hunderttausende gehen dürfte. Die Preise sind amerikanisch, der Komfort ist es auch.

Im Museum begegnen wir einem alten Bekannten im 3D-Format: Floyd Westerman, Lakota-Songwriter und Schauspieler, stellt ihn einem Kurzfilm eine Cherokee-Schöpfungsgeschichte vor. Die kurze Sequenz ist gut gemacht. In wenigen Worten und reicher Gestik erfährt der Besucher etwas über die Kultur der Cherokee. Ein weiterer Gang durch die Ausstellung vermittelt einen guten Eindruck von der erstaunlichen Anpassungsfähigkeit der „Fünf zivilisierten Nationen“ bis zur Zwangsumsiedlung. Das Museum ist im Vergleich zum Kasino oder den Souvenirshops eher wenig besucht.

Ein ähnlicher Eindruck ergibt sich im Museumsdorf. Der Vater des Verfassers war bereits in den fünfziger Jahren kurz nach der Eröffnung des Dorfes dort: Zumindest die photographischen Eindrücke von 1958 und 2005 erscheinen austauschbar. Auf einem Rundkurs sind unterschiedliche Gebäudetypen zu besichtigen, wie sie von den Cherokee im Lauf ihrer Geschichte bewohnt wurden. Manche Hütte, manches Haus dürfte sich kaum von den Wohnstätten der ersten weißen Kolonisten der Region unterschieden haben, andere zeugen von traditioneller und umweltangepasster Technik der vorkolumbianischen Zeit.

Cherokee Museum Village (Photo: AGIM) Dazwischen residieren traditionelle Cherokee-Handwerker, die im Stil des „historic re-enactment“ Körbe flechten, Gefäße töpfern oder Blasrohrtechnik vorführen, alles erklärt von einem Cherokee-Fremdenführer, der auch Rücksicht auf die notwendigen Photos der Touristen nimmt.

Historisch – Authentisch – Exotischlink

Für den Besucher aus Europa ergibt sich damit eine ernüchternde Bilanz: Cherokee ist ein typischer amerikanischer Urlaubsort, dessen Attraktionen eher zufällig indianische Komponenten aufweisen. Man nimmt dort – mit dem entsprechenden emotionalen Engagement, zu dem Amerikaner immer bereit sind – die historische Katastrophe der Zwangsumsiedlung zur Kenntnis. „Welche Ungerechtigkeit“, aber vor allem „Das ist lange her“.

Wohlwollend betritt man dann einen Laden mit der Absicht, einen Gegenstand des indianischen Kunsthandwerks zu erstehen – und verlässt ihn dann mit einem Türkis-Silberschmuck-Armreif (aus New-Mexico) oder einem Traumfänger (aus Taiwan). Was soll’s, Hauptsache man sieht: „echt indianisch“.

Im Museumsdorf ein ähnliches Bild: zwar geben sich die Cherokee in den Open-Air-Werkstätten alle Mühe den Besuchern ein alternatives Indianerbild zu vermitteln, am Ende steht dennoch das „Chiefing“, die Präsentation historischer oder traditioneller Überlieferung durch einen „echten Indianer“. Um eine Feuerstelle gruppieren sich die Besucher auf einer Art Sitztribüne, im Mittelpunkt steht ein Cherokee, der versucht die immer gleichen Fragen des Publikums zu beantworten, allerdings erfolgt die Vermittlung einer anderen, modernen indianischen Welt höchstens in homöopathischen Dosen. Alles wird zum interessanten, weil anekdotischen, Detail: „Innaresting!“

Und so verlässt der Tourist den Ort wieder, mit einem historischen Schuldgefühl, vermeintlichen Kenntnissen über Vergangenheit und Gegenwart der „Indianer“ und der beruhigenden Gewissheit, dass in der eigenen Ahnengalerie irgendwo eine Cherokee-Prinzessin herumspukt.

Noch ein Versuch: Miccosukee in Floridalink

Hammocks der Miccosukee (Photo:AGIM) Florida mit seinen Mega-Entertainment Parks ist auch das bevorzugte US-Reiseziel deutscher Touristen. Und selbstverständlich werden bei dieser Gelegenheit auch die Everglades besucht, jene ausgedehnte Sumpflandschaft, die eigentlich ein ausgedehntes Flussdelta mit minimalem Gefälle ist. Hierhin hatten sich zu Zeiten der großen Umsiedlungen des 19. Jahrhunderts Indianer zurückgezogen, die dann unter der Sammelbezeichnung Seminolen bekannt wurden. Drei Kriege überstanden die Seminolen gegen Streitkräfte der USA und konnten dank der Unzugänglichkeit ihres Rückzuggebiets nie wirklich militärisch besiegt werden.

Eine Abteilung der Seminolen, die Miccosukee leben einige Meilen westlich des Miami-Dade County inmitten der Sumpflandschaft in einem winzigen Reservat parallel zum Highway. Wer sich von Miami dem Reservat nähert, erblickt als erstes einen riesigen Casino-Komplex, der neben dem Everglades-Tourismus den bescheidenen Wohlstand der Miccosukee zu begründen scheint. Der Hauptort zeigt ein bereits bekanntes Bild: Giftshop und Museumsdorf (gegen Ende der Tourismussaison leider schon früh am Tag geschlossen). Ansonsten macht der Ort den Eindruck einer amerikanischen Mittelschicht-Siedlung, wären da nicht die typischen Chickees hinter jedem Haus. Keine Frage, Besucher aus den Großstädten der Ostküste können hier kein Problem der Indianer erkennen. Die Viertel der schwarzen Bevölkerung in Baltimore oder Washington vermitteln den Eindruck von Elendsquartieren, aber diesen Indianer muss es zweifellos gut gehen.

Die Situation der US-amerikanischen Ureinwohner muss für einen nicht geringen Teil der Amerikaner unbekannt bleiben. Neben dem alltäglichen Rassismus der Weißen, die unmittelbare Nachbarn der Indianerreservate im Westen sind und den Zumutungen der amerikanischen Filmproduktion der letzten 70 Jahre stellen Museen, „historische“ Indianerdörfer und „gift shops“ eine Art mentaler Kulisse dar, die selbst interessierten Touristen kaum Durchlass zur indianischen Wirklichkeit bietet.
Vielleicht ist dies von indianischer Seite auch gar nicht gewollt, vielleicht lebt es sich hinter einer Neon-Fassade federgeschmückter, Tomahawk schwingender Pappkameraden einfach ungestört.

Erstellt von oliver. Letzte Änderung: Sonntag, 22. März 2020 23:47:21 CET von oliver. (Version 3)